Rotstift bei Retouren
Otto-Konzern will Tochterfirma von Hamburg in osteuropäische Billiglohnländer verlagern
840 meist weibliche Mitarbeiter des Retourenzentrums der Otto Group in Hamburg hatten seit 2006 auf Teile ihres schmalen Gehalts verzichtet, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Doch im kommenden Jahr will der Versandhandelskonzern dieses schließen.
Die Konzernleitung argumentiert mit den steigenden Kosten, die die massenhafte Rücksendung bestellter Waren durch die Kunden verursachten. Diese können die bestellte Ware bei Nichtgefallen auf Kosten des Logistikunternehmens zurückschicken. Von der Verlegung der Tochterfirma Hermes Fulfilment nach Lodz in Polen und Plzen in Tschechien erhoffen sich die Entscheider finanzielle Vorteile dank der dort wesentlich niedrigeren Löhne. Auch die Konkurrenten Amazon und Zalando nutzen Billiglohnländer im Osten, um dort die kostenintensiven Retouren abzuwickeln. Die Zeche zahlen die 840 Angestellten des Retourenzentrums. Als Angelernte stehen sie vor dem Nichts.
»Die geplante Verlegung nach Polen und Tschechien ist ein Skandal, besonders gemessen an dem hohen moralischen Anspruch, den Otto postuliert«, erklärt Heike Lattekamp, Landesfachbereichsleiterin Handel von Verdi in Hamburg. Mit dem Verweis auf die niedrigeren Personalkosten in Polen und Tschechien »setzt das Unternehmen eine Lohnspirale in Gang, die nach unten führt. Auch ökologisch ist die Verlegung widersinnig, denn die Retouren werden durch halb Europa gefahren, kosten Zeit und Transportkapazität, belasten die Autobahnen und die Umwelt. Diese Kosten werden der Allgemeinheit aufgebürdet«, kritisiert Lattekamp. Dabei werbe Otto sonst mit einem hohen ethischen Anspruch, gerade auch im Hinblick auf ökologische Standards.
Aufsichtsratsvorsitzender Michael Otto (77), Sohn des 2011 verstorbenen Firmengründers Werner Otto, gilt in der Hansestadt als Wohltäter mit ökologischem Bewusstsein. 1993 gründete er die Michael-Otto-Stiftung für Umweltschutz, 2013 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt und 2018 zum Professor ehrenhalber ernannt. Er war in zahlreichen Gremien wie etwa der Umweltstiftung WWF Deutschland vertreten.
Das Unternehmen (Jahresumsatz 14,3 Milliarden Euro; etwa 52 000 Beschäftigte), das einst als Versandhaus gegründet wurde, inzwischen aber in zahlreichen Geschäftsfeldern operiert, rechtfertigt die Verlagerung des Retourenzentrums mit dem Kostendruck: »Mit steigenden Umsätzen der Handelsgesellschaften der Otto Group steigt auch das Volumen der Retouren. Daher wird dieser Kostenblock immer erheblicher und führte letztlich zu der jetzt getroffenen Planungsentscheidung.«
Die Linke-Bürgerschaftsabgeordnete Olga Fritzsche kritisiert diese Entscheidung: »Auch wenn es in Polen oder Tschechien billiger sein sollte: Für ein verantwortungsbewusstes Unternehmen darf der Profit doch nicht der einzige Parameter sein. Was ist mit den 840 Arbeitsplätzen, in diesen schwierigen Zeiten? Meiner Ansicht nach wird die Otto Group ihrer Verantwortung in keiner Weise gerecht.« Sie fordert den SPD/Grünen-Senat auf, sich für den Erhalt der Arbeitsplätze einzusetzen.
Die Beschäftigten von Hermes Fulfilment hätten seit 2006 auf bis zu zwölf Prozent ihres Tarifgehalts verzichtet, weil sie darauf vertrauten, dass der Standort erhalten bleibe, erklärt Gewerkschafterin Heike Lattekamp. »Die Hermes-Kolleg*innen verdienen circa 13 Euro die Stunde, das ist auch nicht gerade viel. Selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung führt dies langfristig zu Altersarmut.« Der Konzern behaupte, »dass alle Alternativen geprüft wurden. Das bezweifeln wir.«
Verdi will den Kampf der Belegschaft zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze weiter unterstützen. Am Montag gab es eine Kundgebung auf dem Firmengelände in Hamburg-Bramfeld. Zu den Erfolgsaussichten des Kampfes erklärt Lattekamp: »Wer kämpft, kann gewinnen; wer nicht kämpft, hat schon verloren. Es ist uns beispielsweise gelungen, in Hamburg die Schließung einer Karstadt/Kaufhof-Filiale zu verhindern. Und wir kämpfen im Moment darum, eine weitere Filiale zu retten.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!