Eine unselige Tradition: Kriegswaffen aus Suhl

Verteidigungsministerium erteilt der Firma C. G. Haenel den Zuschlag zur Produktion des neuen Bundeswehr-Sturmgewehres

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Vorwurf aus dem Jahr 2012 deutete auf einen Skandal: Wenn der Lauf heiß wird, dann schießt das G 36 nicht mehr präzise. Heckler & Koch, damals Hoflieferant der Bundeswehr, widersprach. Während der Streit vor Gericht ausgetragen wurde, fürchteten Politiker um die Sicherheit der von ihnen in Auslandseinsätze geschickten Bundeswehrangehörigen. Über Jahre wurde vor allem medial eine Debatte über das Für und Wider des G 36 sowie die seltsamen Praktiken bei der Beschaffung geführt. Obwohl die meisten Soldaten die breite Aufregung nicht teilten, erklärte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das G 36 zu einem Auslaufmodell.

Das Ministerium verfügte 2014 einen Beschaffungsstopp, im April 2017 wurde der Auftrag für ein neues Standardgewehr europaweit ausgeschrieben. Über folgende Bewerbungen ist nicht viel bekannt: Sig Sauer war ebenso beteiligt wie ein Rheinmetall-Steyr-Konsortium. Aus den USA kamen Angebote von der Lewis Machine & Tool Company. Die C. G. Haenel GmbH stellte den MK 556 vor. Heckler & Koch bot sogar zwei Modelle auf und war sich ziemlich sicher, wie früher den Zuschlag zu erhalten. Immerhin liefert die erfahrene schwäbische Firma ihr neuestes Modell bereits an die US Marines, die norwegische Armee und nach Frankreich. Im Oktober 2018 sickerte jedoch durch, dass keines der eingereichten Modelle den geforderten Kriterien entsprach. Die Bundeswehr räumte den Anbietern für Nacharbeiten eine Frist bis Februar 2019 ein.

Bei der Ausschreibung ging es zunächst um 120 000 Gewehre. Der geschätzte Gesamtwert des Auftrages wurde 2017 mit 245 Millionen Euro plus Mehrwertsteuer angegeben. Rein rechnerisch sollte also ein Gewehr gut 2000 Euro kosten. Man wird sehen, wie teuer die Standardwaffe dann wirklich ist.

Wie das Verteidigungsministerium am Dienstag mitteilte, ist C. G. Haenel als Sieger aus dem Bieterverfahren hervorgegangen. Am Vortag waren bereits Fachpolitiker über die Entscheidung informiert worden. Eine lange Tradition auf diesem Gebiet betont das Management der Thüringer Firma, die in der Öffentlichkeit aber vor allem als Hersteller von Jagdwaffen firmiert. In der Tat gehört die Firma zu den ältesten Unternehmen in der Region Suhl. 1840 gegründet, baute man zunächst Fahrräder - bis sich herausstellte, dass Waffen mehr Profit versprechen.

Im Ersten Weltkrieg stellte man in Suhl den bekannten Karabiner K 98 her. Nach der Kapitulation des Kaiserreiches begann man - den Versailler Vertrag missachtend - mit der Entwicklung von Maschinenpistolen, die dann im Zweiten Weltkrieg reichlich Profit brachten. Dafür tat sich Haenel mit anderen Suhler Waffenherstellern zusammen und beutete Zwangsarbeiter aus. 1945 wurde das Unternehmen von der sowjetischen Militäradministration aufgelöst. Teile kamen zum späteren VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk »Ernst Thälmann«. Der Betrieb stellte unter anderem die sowjetische MPi Kalaschnikow her - bis nach der Wende die Treuhand alles übernahm.

Seit 2008 ist der Name Haenel in Suhl wieder ein Begriff. Weniger bekannt ist, dass die Firma als Teil der ebenfalls Suhler Merkel-Gruppe zum Waffenhersteller Caracal International aus Abu Dhabi gehört, der sich wiederum im Besitz des Staatsfonds Tawazun aus den Vereinigten Arabischen Emiraten befindet. Das wirft allerlei Fragen auf. Auch beim sicherheitspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Tobias Lindner: Es müsse sichergestellt werden, so verlangt er, dass keine deutsche Technologie ins Ausland abfließe und die Instandsetzung der Waffen über die nächsten 30 Jahre garantiert sei. Weitaus problematischer scheint die Frage möglicher Exporte. Wie beim G 36 - via Lizenzproduktion in Saudi-Arabien - könnte da erneut vieles am deutschen Exportkontrollrecht vorbei gedeichselt werden.

Kaum Zweifel gibt es dagegen an der Kompetenz von Haenel, das bereits mehrere Polizeibehörden im In- und Ausland mit Sturmgewehren beliefert. Die Bundeswehr bezieht seit 2016 Scharfschützengewehre aus Suhl für die Spezialkräfte in Heer und Marine.

Ob die Thüringer aber wirklich der neue Hoflieferant für Bundeswehr-Sturmgewehr werden, ist noch nicht sicher. Der Zuschlag ist nämlich noch nicht rechtswirksam. Unterlegenen Bietern stehe immer der Klageweg offen, sagt das Bundesverteidigungsministerium. Heckler & Koch kündigte bereits an, »alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen«.

Laut Planung soll der Haushaltsausschuss des Bundestages in der letzten Oktoberwoche über die Beschaffung des ersten Loses der MK 556-Waffen beraten. Die Lose zwei bis vier sowie die gesondert ausgeschriebenen Laserlichtmodule und Waffenoptiken stehen für Mitte Dezember 2020 zur Debatte.

Die Summen, um die es geht, sind vergleichsweise gering. Vor wenigen Tagen gab der Haushaltsausschuss grünes Licht für Investitionen im IT-Bereich der Bundeswehr, für die Beschaffung neuer Präzisionsmunition für die Luftwaffe sowie für weitere Marine-Lenkflugkörper. Die Verträge haben einen Gesamtwert von 2,1 Milliarden Euro.

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