Coronawelle in Tschechien
Opposition kritisiert zögerliche Maßnahmen der Regierung
Tschechien droht ein neuer Lockdown, fürchtet die Opposition. Denn am Samstag verzeichneten die Gesundheitsbehörden einen Rekordanstieg der Coronaneuinfektionen - 1541 Fälle wurden gemeldet. Besorgniserregend ist die Zahl auch, weil am Wochenende weniger getestet wird, als an den Werktagen.
Diese Zahlen habe er nicht erwartet, erklärte Gesundheitsminister Adam Vojtěch. Fünf Kreise rund um die Hauptstadt wurden gemäß der aktuellen Corona-Ampel auf die zweithöchste Warnstufe Orange gesetzt. Im weiteren Umkreis leuchtet die Ampel Grün. Dies ist jedoch kein Grund zur Beruhigung, sondern die Aufmerksamkeitsstufe: Achtung, Covid-19-gefährdete Region! Nur wenige Kreise im Norden und Osten der Republik sind von keiner Warnstufe erfasst.
Dabei hatte die tschechische Regierung zu Beginn der Pandemie schnell reagiert und drastische Hygienemaßnahmen erlassen. Die Infektionszahlen lagen, verglichen mit den Nachbarstaaten, auf einem relativ niedrigen Level. Seit März erkrankten 38 900 Menschen an Covid-19, lediglich 476 erlagen der Krankheit. Aktuell sind 14 600 infiziert, 297 Patienten müssen in Krankenhäusern behandelt werden, 69 von ihnen befinden sich in einem kritischen Zustand. Es waren vor allem Urlaubsrückkehrer, die das Virus wieder ins Land brachten.
Die Regierung muss sich nun vorwerfen lassen, die Lockerungsmaßnahmen, die zum 19. August in Kraft getreten waren, seien zu früh erlassen worden. Allerorten befürchtet man, dass nun wieder zu drastischen Maßnahmen gegriffen werden muss und ein zweiter Lockdown bevorsteht. Dies würde die Wirtschaft in einen desolaten Zustand katapultieren, heißt es.
Auffällig ist, dass sich die Prager Regierung uneins ist in der Frage, wie mit der neuen Situation umzugehen ist. Während Minister Vojtěch und sein Partei- und Regierungschef Andrej Babiš eine eher abwartende Position einnehmen und das (Wahl-)Volk nicht beunruhigen wollen, erklären Politiker sowohl aus der Opposition als auch von der koalierenden sozialdemokratischen ČSSD, man müssen schnell und deutlich handeln. Kulturminister Lubomir Zaoralek und Innenminister Jan Hamáček möchten wieder einen Krisenstab einberufen, der bindende Maßnahmen zur Beherrschung der Pandemie anordnen kann. Hamáček würde einem solchen Stab vorstehen und könnte somit starken Einfluss auf die aktuelle Politik nehmen. Angesichts der zu Monatsende beginnenden Bezirkswahlen ein wichtiger Faktor. Die Sozialdemokraten, die 2016 sieben Bezirke verloren, davon sechs an die Prag regierende rechtspopulistische ANO, wollen ihre einstige Stärke in der Republik wiedergewinnen.
Die Opposition wirft der Regierung Untätigkeit und Unfähigkeit vor. »Im März hat sie uns alle in Quarantäne genommen, das hat viel Geld gekostet. Doch dann ließen sie die Zügel schleifen, verantwortlich ist der Premier«, sagt Miroslav Kalousek, Chef der konservativen TOP09. Er habe den Eindruck, die Regierung sei auf das Kommende nicht ausreichend vorbereitet. »Es gibt zu wenig Personal und zu wenig Testkapazitäten«, so der frühere Wirtschaftsminister.
Doch die Babiš-Administration bleibt passiv. Gesundheitsminister Vojtěch hatte die Zentrale Epidemiekommission zuletzt am 15. Mai einberufen und anschließend in die Sommerpause geschickt, obwohl er sie nun angesichts der neu steigenden Zahlen als »Schlüsselplattform« bezeichnete. Der Regierungschef selbst versucht, die Situation herunterzuspielen, es brauche einfach Disziplin und weniger Angstmache, ließ er verlauten, schließlich sei in den vergangenen zwei Tagen niemand an Corona verstorben.
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