Kilometerlange Widersprüche
Erst die Feinanalyse wird zeigen, ob die Frankreichrundfahrt zum Modell für Spitzensport in Coronazeiten werden kann
Jetzt kann die Luft aus den Blasen gelassen werden, die die Tour de France auf ihrem 3484 Kilometer langen Weg durchs Land gebildet hatte, um sich vor dem Coronavirus zu schützen. Sie haben gehalten, bis zum Schluss. Und das, obwohl sie am Ende doch etwas poröser wurden. Was stand nicht alles drin in den verschiedenen Versionen des Hygienepapiers von Tourveranstalter ASO und dem Weltverband. Einzelzimmer sollten Fahrer und Betreuer haben. Da lachte mancher Teamchef nur sarkastisch auf. Wie gewohnt gab es Doppelzimmer. Die Trennung von Fahrern und Medien war ebenfalls gefordert. In der Mixed Zone hielt man sich daran und verlängerte Mikrofone und Aufnahmegeräte mit Selfiesticks und Einbeinstativen. Manch ein Journalist wunderte sich dann aber, dass er im selben Hotel eincheckte, vor dem schon die Teamwagen platziert waren. Bei einer Etappe befanden sich sogar Pressezentrum und Teamhotel in einem einzigen Gebäudekomplex. Wer »Skandal!« hätte schreien wollen, hätte vielfach Gelegenheit dazu gehabt. Denn Konzeptpapier und Realität waren zum Teil weit voneinander entfernt.
Auf Grundlage der bisherigen Testergebnisse kann man dennoch konstatieren, dass ein Vorhaben, dass viele für jenseits aller Vernunft hielten, durchführbar war. Ein Tross von etwa 3000 Menschen konnte sich drei Wochen durch Frankreich bewegen, ohne massiv vom Coronavirus erfasst zu werden. Sechs positive Fälle gab es bei den Tests am ersten Ruhetag, keinen einzigen am zweiten. Bei den Tests unmittelbar vor der Tour mussten zwei Teambetreuer gehen, weil sie positiv getestet wurden. Nur nach und nach sickerte durch, dass es bei den Organisatoren weitere positive Fälle gab. Francois Belay, einer der Moderatoren der Tour, der für Stimmung sorgt, wo auch immer die Lautsprecher montiert sind, durfte wegen eines positiven Tests nicht zum Grand Depart und nahm erst später, nach einem negativem Test, wieder seine Arbeit auf.
Im mobilen Testlabor der Tour wurden nach Auskunft der ASO täglich zwischen fünf und 20 Tests durchgeführt, manche für symptomatische Personen, andere für Ersatzleute in der Organisation. Ein komplettes Fazit kann allerdings erst gezogen werden, wenn die gestiegenen Infektionszahlen in Frankreich auf Auswirkungen durch die Tour analysiert werden. Gab es bei den Etappenorten bis zu fünf Tage, nachdem die Tour dort war, signifikante Anstiege der Infektionszahlen? Oder haben Personen, die bei der Tour waren, das Virus an ihre Heimatorte gebracht? Eine Feinanalyse ist kompliziert. Wenn die Tour zum Modell werden will, müssen die Organisatoren aber genau eine solche angehen.
Und nur dann kann man unbeschwert Staatspräsident Emanuel Macron zustimmen. Der erklärte das Rennen zu einem Symbol für das Weiterleben mit dem Virus. Bei seinem Aufenthalt nahm er aber nicht im Auto des frisch von der Infektion genesenen Tourchefs Christian Prudhomme Platz, sondern bei dessen Stellvertreter Francois Lemarchand. Der gehörte, anders als Prudhomme, allerdings zu der Teilblase der Organisatoren, denen engerer Kontakt zu den Fahrern erlaubt war. Noch so ein Widerspruch bei dieser Pandemie-Edition der Tour de France.
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