Die schöne Müßiggängerin zieht in den Krieg

»Das Mädchen mit der Leica«: Helena Janeczeks charmanter Tatsachenroman über die Fotografin Gerda Taro

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 4 Min.

Er trägt Latzhose, sie den Mono Azul, die blaue Kampfmontur der spanischen Antifaschisten. Das Paar ist jung, »jung, wie es sich für Helden gehört«. Der Roman beginnt mit der anrührenden Beschreibung dieses Fotos. Wahrscheinlich sind die Faschisten schon im Anmarsch, doch die beiden genießen noch einmal letzte Stunden des Glücks unter der katalanischen Sommersonne. Freiwillige aus ganz Europa kommen im August 1936 in Barcelona zusammen, um den Spaniern gegen Franco beizustehen. Darunter Gerda Taro.

Mit ihren Bildern dokumentiert die jüdische Fotografin den Enthusiasmus der Frauen und Männer, die für die Freiheit zum Karabiner greifen. Ein paar Monate später ist sie tot, überrollt von einem Panzer. Ausstellungen und Biografien haben das unerschrockene Leben wie das Sterben der blutjungen, unkonventionellen Sozialistin aus Stuttgart aufgearbeitet. In »Das Mädchen mit der Leica« erzählt Helena Janeczek Gerda Taros Geschichte nun noch einmal.

Dabei gelingt der deutsch-italienischen Autorin ein einfühlsamer Tatsachenroman, der sich den Erwartungen planvoll widersetzt. Gerda Taro ist hier Gerda Taro, und nicht, wie sonst nur allzu oft, die Frau an der Seite von Robert Capa, dem ungarischen Kriegsreporter und Mitbegründer der Foto-Agentur Magnum.

Ohne eine gewitzte Strategin wie Taro hätte es die Marke Capa vielleicht nie gegeben. Gemeinsam erfinden sich die beiden verkrachten Exilanten eine Glamour-Existenz. Ein strubbelköpfiger Budapester namens André Friedmann und eine Deutsch-Polin namens Gerta Pohorylle, wie Gerda ursprünglich hieß, wären nicht weit gekommen. Den angeblichen amerikanischen Millionenerben Robert Capa nehmen die großen Pariser Pressehäuser dagegen gern in ihre Dienste. Ebenso wie seine mondän umgetaufte Freundin: Gerda Taro, dieselben Vokale wie Greta Garbo!

So jedenfalls hört sich die Geburtsstunde der beiden Fotografen-Legenden in Janeczeks wohldosierter Mischung aus Fakten und Fiktion an. Den literarischen Realitätseffekt erzielt die Autorin dadurch, dass sie sich ihrer Heldin über Rückblenden aus der Sicht von von drei Freunden nähert. Den Anfang macht Willy. Als die Handlung beginnt, lebt er bereits als angesehener Kardiologe in Amerika. Mit alternder Wehmut blickt er auf seine Jugendliebe zurück. Aus den Worten der Freundin und Zimmergenossin Ruth, die im zweiten Teil zu Wort kommt, hört man dagegen etwas ganz anderes heraus: weibliche Eifersucht auf die bei jedem Flirt erfolgreiche Gerda. Mit dem ehemaligen Frontarzt Georg Kuritzkes, der letzten Figur des retrospektiven Triptychons, brechen dann die Bürgerkriegsereignisse aus Spanien ganz direkt in die Handlung ein.

Weit auseinanderliegende Zeiten und Orte fließen zusammen. Das geschichtlich Verbürgte nimmt die Sepiatöne einer stimmungssensiblen Erinnerungspoesie an, die sich in ihren besten Momenten mit dem französischen Nobelpreisträger Patrick Modiano messen kann.

Plötzlich steht der Leser im Leipzig der frühen dreißiger Jahre. Aus Stuttgart ist die junge Gerda mit ihrer Familie dorthin umgesiedelt. In der sächsischen Metropole erlebt sie den Aufstieg der Nazis. Auf einem geliehenen Motorrad verteilt sie Flugblätter für eine antifaschistische Untergrundorganisation. Besonders jene frühe linke Sozialisation und das politische Engagement der Fotografin in Deutschland blieben in den bisherigen Publikationen unterbelichtet.

Gleichwohl wird Taro von Janeczek nicht zur sozialistischen Märtyrerin stilisiert. Dafür ist die Romanheldin aus der Wirklichkeit viel zu feminin, viel zu kokett. Die aufgeweckte junge Frau kennt den Wert ihrer erotischen Reize. Als ahnte sie, dass ihr nicht viel Zeit bleibt, sucht sie, wann immer es geht, Spaß und Zerstreuung. Über Straßburg flüchtet die »schöne Müßiggängerin« ins noch unbesetzte Paris. An der Seine verdreht die hübsche Deutsche der internationalen Flüchtlingsboheme den Kopf. Stoisch erträgt sie wanzenverseuchte Hotelbetten und eine Abtreibung, Hauptsache, es gibt Straßencafés, Modemagazine oder Ausflüge an die Côte d’Azur. Umso überraschender erscheint vor diesem Hintergrund Gerdas Entscheidung, an der Seite von Capa in den Krieg zu ziehen. Und so ist Janeczeks charmante Geschichte vom frechen, klugen Leica-Mädchen (»ein Meter fünfzig blanker Ehrgeiz und Stolz - ohne Absätze«) gerade in unseren coronabedrohten Tagen ein kaum zu unterschätzender Lektüregewinn: Lebenslust und lachender Optimismus funktionieren selbst gegen die existenziellste Bedrohung als Abwehrzauber.

Helena Janeczek: Das Mädchen mit der Leica. A. d.Ital. v. Verena von Koskull. Berlin-Verlag, 352 S., geb., 22 €.

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