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Optimisten seit Jahrtausenden

Max Privorozki von der Jüdischen Gemeinde Halle über die Vorbereitungen auf Jom Kippur und den Prozess gegen den geständigen Attentäter Stephan B.

  • Maz Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Privorozki, von Sonntag bis Montag feiert die Jüdische Gemeinde Halle den höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur. Es ist ein Feiertag unter besonders schweren Umständen, ein Jahr nach dem Anschlag vom 9. Oktober 2019. Wie sehr belastet die Erinnerung an diesen Tag die Gemeinde bei den Vorbereitungen auf das diesjährige Fest?

Die Vorbereitungen zum diesjährigen Jom Kippur - genauso wie vor ein paar Tagen zum Rosch Haschana - stehen unter strengen Auflagen angesichts der Covid-19-Pandemie. Diese Einschränkungen belasten uns sehr. Sie sind jedoch nicht mit dem Jom-Kippur-Anschlag im vergangenen Jahr verbunden.

Wie kann die Gemeinde es schaffen, den Tag würdevoll und festlich zu begehen, sich von Bedrohungen nicht einschüchtern zu lassen?

Die jüdische Geschichte ist voll von verschiedenen Ereignissen, die Pessimismus verursachen und begründen sollen. Wir sind dennoch seit Jahrtausenden Optimisten. Möglicherweise deswegen leben wir weiter. Wir haben das Rosch Haschana 5781 sehr gut gefeiert. Und ich hoffe, dass auch andere Feste in diesem neuen Jahr darauf folgen.

Sie feiern nicht in der Synagoge, sondern in einem städtischen Raum. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?

Wie gesagt, die von der Pandemie verursachten Auflagen haben uns gezwungen, diese Entscheidung zu treffen: In der halleschen Synagoge gibt es derzeit nur 19 Plätze, oder bis 23, wenn die Familienmitglieder zusammensitzen. Wir könnten nicht zulassen, dass unsere Mitglieder wegen Platzmangel am Rosch Haschana oder Jom Kippur nicht kommen können.

Im vergangenen Jahr stand die Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag nicht unter Polizeischutz. Welcher Schutz wird Ihnen diesmal von den Sicherheitsbehörden gewährt?

Nach dem Anschlag haben die Behörden die Sicherheitslage neu bewertet. Seitdem stehen alle Events unter Polizeischutz. An solchen Feiertagen wie Jom Kippur - auf jeden Fall.

Hat die Gemeinde ein eigenes Sicherheitskonzept erarbeitet?

Ein eigenes Konzept gab es auch vor dem Anschlag. Und - G-tt* sei Dank - hat es funktioniert. Wir haben dieses Konzept teilweise angepasst. Es bleibt aber dynamisch und ist von der vorhandenen technischen Ausrüstung abhängig.

Hat sich das Sicherheitsgefühl jüdischer Menschen in Halle seit dem Anschlag insgesamt eher verbessert oder verschlechtert? Welche Veränderungen stellen Sie in der Stadtgesellschaft fest?

Das ist eine sehr umfangreiche und noch dazu eine personenbezogene Frage. Jeder Mensch hat ein eigenes Sicherheitsgefühl, eine eigene Sicherheitsvorstellung. Meine Meinung: Die Sicherheitslage hat sich dank der ergriffenen Maßnahmen verbessert.

Mit der Corona-Pandemie sind antisemitische Verschwörungstheorien im Zuge von sogenannten Corona-Demos wieder sichtbarer geworden. Wie nehmen Sie diese Demonstrationen wahr?

Der Antisemitismus war stets ein gemeinsamer Nenner bei diversen Verschwörungstheoretikern und auch -praktikern - egal ob aus der nationalistischen oder aus der linksradikalen Szene. Unsere demokratische Rechtsordnung wird von solchen Ereignissen auf die Probe gestellt. Die Demokratie ist das wertvollste Gut unserer Gesellschaft. Sie muss nicht nur offen und funktionierend bleiben. Sie muss auch geschützt werden. Die Aufgabe der Politik ist es, die Demokratie zu schützen. Diese Aufgabe wird aber leider oft vernachlässigt.

Seit Juli steht der Attentäter Stephan B. in Magdeburg vor Gericht. Welchen Eindruck haben Sie von dem Prozess und was erhoffen Sie sich davon?

Der Attentäter - kein vermutlicher Attentäter, er hat die Tat gestanden - zeigt sich als ein überzeugter, fanatischer Antisemit, der seine Einstellung stets hervorhebt und den Prozess als eine Bühne für seinen Antisemitismus nutzt. Ich kann sagen: 80 Jahre früher geboren, würde er möglicherweise eine wichtige Rolle in Auschwitz oder Sobibor spielen. Was ich erhoffe: Aufklärung darüber, wie Antisemiten wie der Attentäter zu Mördern werden.

Stephan B. zeigt bislang keine Reue für seine Taten. Sie selbst haben im Prozess als Zeuge ausgesagt. Wie schwer fiel es Ihnen, dort zu reden? Was haben Sie dabei gefühlt?

Ich habe im Gericht nicht für den Attentäter und nicht mit dem Attentäter gesprochen. Für mich war und ist die Gerechtigkeit nach dem zweifachen Mord und mehreren Mordversuchen sowie die Aufklärung über die Entwicklung solcher Mörder wichtig.

Im Prozess sind bereits einige Zeugen aus der Synagoge zu Wort gekommen. Es fielen dabei auch kämpferische Aussagen wie: »Er hat sich mit den Falschen angelegt.« Ermutigt Sie das? Was gibt Ihnen sonst Hoffnung für die Zukunft?

Jeder Mensch reagiert und denkt anders. Ich habe mich anders verhalten. Ich kann aber die andere Weise auch verstehen und akzeptieren.

*Jüdische Menschen vermeiden es, den Namen ihres Herrn in eine Form zu bringen, in der dieser nach ihrem Glauben beschmutzt wird. Dies geht auf das dritte Gebot der Tora zurück: »Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen, denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht.« Entsprechend haben sich alternative Schreibweisen wie »G-tt« entwickelt.

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