Die Augen der anderen

Früher kannten wir Spionage nur aus dem Kino, heute erfährt sie jeder im Alltag, wie eine kurzweilige Schau in Frankfurt a. M. zeigt.

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 4 Min.

Schlapphüte und tote Briefkästen, Aktenkoffer mit doppeltem Boden oder Zigaretten, die tödliche Geschosse abfeuern. Kaum etwas beflügelt die Fantasie mehr als die Welt der Geheimdienste. Spione oder Agenten sind aus Film und Literatur nicht mehr wegzudenken. James Bond, der wohl berühmteste fiktive Vertreter dieser Spezies, eliminiert seit Jahrzehnten im Auftrag Ihrer Majestät Staatsschurken aller Art. Der britische Autor John le Carré fand mit seinem beamtenhaften Sicherheitsdienstler George Smiley ebenso Eingang in die Annalen der jüngeren Kulturgeschichte. Neuerdings inspirieren die Machenschaften von CIA, KGB und Co., aber auch Vertreter der bildenden Künste. Insbesondere von Ereignissen wie den NSU-Morden, der Wiki-Leaks-Affäre oder der Konjunktur der Verschwörungstheorien fühlen sich die Kreativen herausgefordert. Nun hat die Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main diesem hochaktuellen Thema hinterherrecherchiert.

»We never sleep« überschreibt sich die kurzweilige Sonderschau, deren Titel ursprünglich Werbeslogan der legendären Detektei Pinkerton war. Überwachen statt schlafen! Die Augen immer offen behält in Frankfurt auch Rodney Grahams »Newspaper Man«. Versteckt hinter einer Zeitung mit zwei eingeschnittenen Gucklöchern, nimmt der ominöse Unbekannte seine Umgebung auffällig-unauffällig in den Blick.

Was der kanadische Künstler hier mit seinem Fotoleuchtkasten beschwört, ist ein fast schon zu nostalgisches Klischee aus den guten alten Spionagefilmen des Kalten Krieges. Denn die Ausspähexperten der Gegenwart hocken schon lange nicht mehr mit einer präparierten Gazette auf Parkbänken, sondern schicken ihre Schnüffelprogramme übers Internet.

Aber der Reihe nach: Die Kuratorinnen Cristina Ricupero und Katharina Dohm bringen in der Schirn Filme, Fotos, Objekte und Zeichnungen von über 40 Gegenwartskünstlern in einen fruchtbaren Dialog mit historischen Utensilien des Spionage-Handwerks. Der Parcours ist erlebnisreich aufgebaut. Wer hineinwill, muss sich zunächst durch ein minzgrünes Labyrinth vorwärtstasten. Verwirrung stiften, so die Botschaft von Gabriel Lesters Installation, gehört zu den Kernkompetenzen der Geheimdienste.

Dass man dort nicht nur mit Pistolen, Sprengstoff und Nervengift, sondern auch mit Medien zu tun hat, illustriert das bekannteste Stück der Schau, die Enigma. Ein schlichter Holzkasten umhüllt die deutsche Chiffriermaschine aus dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem aufwendigen Unternehmen der Briten, den Nazi-Code zu knacken, begann die moderne Informatik.

Die Geschichte der Geheimdienste ist der Ursprung der digitalen Gegenwart. Das verraten die Frankfurter Vitrinen. Dort liegen echte Agentenwerkzeuge wie Kugelschreiber mit eingebauter Kleinstkamera oder Mikrofonuhren. Miniaturisieren, integrieren, verstecken - es war ein Wettrüsten um Winzigkeit, das sich die Geheimnisjäger des 20. Jahrhunderts lieferten. Ihre Tools besitzen Vorbildcharakter für Dinge, die mittlerweile ganz selbstverständlich den IT-Alltag prägen. Aber leider macht unser dauervernetztes Smartphone- und Apple-Watch-Universum auch die verdeckte Informationsbeschaffung so einfach wie noch nie.

Früher war es pfiffiges Unterhaltungskino, wenn bei James Bond ein Ortungsgerät im Schuhabsatz verschwand, heute ist ständige Verfolgbarkeit Realität. Jeder kann durch Trojaner oder Tracking Cookies zum Opfer von Spionage werden. Dabei interessiert sich das neugierige Auge am anderen Ende der Datenleitung keineswegs nur für werberelevante Fragen nach unserer Lieblingseissorte oder dem nächsten Urlaubsziel.

Aus gutem Grund verbirgt die Schau unter Kinopostern von Spionageklassikern wie »Topas« oder »Dr. No« auch das Plakat zu »Citizenfour«. Die oscarprämierte Dokumentation ehrt Edward Snowden, der das Ausmaß weltweiter Überwachung durch US-Geheimdienste an die Öffentlichkeit brachte. Während in den USA manche Politiker Snowdens Kopf forderten, gilt er europäischen Datenschützern als Held.

Ob guter oder schlechter Spitzel, ist nämlich immer eine Frage der Perspektive. Zur ersteren Sorte würde die in der DDR geborene Cornelia Schleime ihren ehemals besten Freund nicht mehr zählen. Als inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit hat er zahllose Details aus dem Privatleben der Künstlerin an die Behörden übermittelt. Bitter-zynisch kommentiert Schleimes Collagen-Serie »Auf weitere gute Zusammenarbeit« den Intimen Verrat. Dabei verwertet der Bild-Text-Zyklus insbesondere die Überwachungsprotokolle, die Schleime nach der Wende zur Einsicht bekam.

Zugleich erfährt man in Frankfurt aber, dass all das, was im Volksmund gern als »Stasi-Methode« bezeichnet wird, keinem Geheimdienst dieser Welt fremd war oder ist. In der aufwühlenden Video-Dokumentation von Minouk Lim etwa schildert ein traumatisiertes Folteropfer gegenüber seiner Psychiaterin die in südkoreanischem (!) Staatsgewahrsam durchlittenen Qualen. Das Künstlerkollektiv Metahaven wiederum untersucht am Beispiel des Arabischen Frühlings, wie Machthaber versuchen, über die sozialen Netzwerke den politischen Widerstand zu infiltrieren. Jonas Staal schließlich enttarnt in einem Rechercheprojekt die verborgenen Propagandakanäle, die Donald Trumps Ex-Chefideologe Steve Bannon zur Vorbereitung einer rechtskonservativen Revolution aufbaute.

Leider sprechen nicht alle Beiträge ihren Bezug zum Oberthema mit Klarnamen an. Nomeda und Gediminas Urbonas (Litauen) jedenfalls verschweigen, worauf ihre Multimedia-Collage aus alten Sowjetfilmen und Bildern von botanischen Wachstumsexperimenten hinauswill. Aber so ist es mit realen oder erfundenen Spionagegeschichten ja oft: Die ganze Wahrheit kommt nie ans Licht.

»We never sleep«, bis 10. Januar 2021, Schirn-Kunsthalle, Römerberg, Frankfurt am Main.

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