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Alte Stärke, neue Schwäche

Die Fußballer des 1. FC Union Berlin wollen und müssen Regeln brechen.

Über Vernunft wird in diesen Tagen mit steigenden Infektionszahlen wieder lauter diskutiert, auch im Fußball. Wie wichtig die Rückkehr der Fans in die Stadien sein kann, zeigten am ersten Spieltag der Bundesliga die Anhänger des 1. FC Union Berlin. »Gelder streichen bei Fanprojekten und kleinen Vereinen. Das soll es gewesen sein? Wir haben es nicht vergessen, Reformen waren euer Versprechen.« Über das halbe Stadion ausgebreitet, war diese Kritik am Verhalten von Verbänden und Vereinen zu lesen. Protest, wie am vergangenen Wochenende in der Alten Försterei, gehört nicht nur in Krisenzeiten dazu. Wenn dabei noch alle notwendigen Regeln eingehalten werden, ist er umso wirkungsvoller.

Eine sportliche Regel wollen die Spieler des Köpenicker Klubs in dieser Saison unbedingt brechen. Da hilft, wie schon in der Aufstiegssaison und im Jahr des Klassenerhalts, die nüchterne Sachlichkeit des Trainers. »Es gilt aus einer tollen Saison sich weiterzuentwickeln und nicht im Kopf zu haben, das zweite Jahr wird das schwerste«, sagte Urs Fischer vor dem Start der neuen Spielzeit und forderte: »Ich erwarte, dass wir uns nicht damit beschäftigen.«

Dem Trainer sollte man nur widersprechen, wenn man gute Argumente hat. Unions Kapitän Christopher Trimmel liefert eins, indem er vermutet, dass kein Gegner mehr die Berliner unterschätzen werde. Erste Hinweise, dass es in dieser Saison tatsächlich komplizierter werden könnte, lieferten der in der Verlängerung hart erkämpfte Pokalsieg beim Zweitligisten Karlsruher SC und die Niederlage gegen den FC Augsburg zum Bundesligaauftakt. Und die nächste Aufgabe wird gewiss nicht leichter: An diesem Sonnabend tritt der 1. FC Union bei Borussia Mönchengladbach an. »Nur zu verteidigen, wird nicht funktionieren«, weiß Fischer. Mutig müsse seine Mannschaft spielen.

Ängstlich wirkten die Berliner vor einer Woche im Duell mit den Augsburgern nicht. Sie bestimmten das Spiel und hatten mehr Torchancen. Dass am Ende ein 1:3 auf der Anzeigetafel stand, war der zahlenmäßige Ausdruck qualitativer Unterschiede. Die Gäste aus Bayern standen defensiv stabil und nutzten ihre Möglichkeiten in der Offensive konsequent. Bei Union traf beides nicht zu.

Es war gewiss keine Kurzschlussreaktion, dass die Berliner nur kurz nach der Pressemitteilung zur Niederlage gegen Augsburg eine weitere verschickt hatten. Unter der Überschrift »Verstärkung im Sturmzentrum« wurde die leihweise Verpflichtung des Nigerianers Taiwo Awoniyi vom FC Liverpool verkündet. Ein großer Name, der des Klubs. In fünf Jahren hat der 23-Jährige noch kein Pflichtspiel für Englands Meister absolviert, dafür Erfahrungen bei fünf verschiedenen Vereinen in vier Ländern gesammelt. In der Rückrunde der vergangenen Saison schoss er in zwölf Spielen für Mainz ein Bundesligator.

Dass die Suche nach einem Nachfolger für den nach Köln abgewanderten Sebastian Andersson schwer wird, war klar. Andererseits ist der schwedische Torjäger ein Beweis dafür, dass Trainer Urs Fischer Spieler weiterentwickeln kann. Dafür stehen beispielgebend auch Außenstürmer Marius Bülter oder Mittelfeldmann Robert Andrich. Eine Garantie gibt es jedoch nicht. Wie groß die Not im Sturmzentrum ist, zeigt, dass Awoniyi schon jetzt für das Spiel in Mönchengladbach ein Kandidat für die Startelf sein soll. Der ebenfalls für den Angriff verpflichtete Cedric Teuchert, eher der Typ Wühler, hat bislang sichtbare Schwierigkeiten, sich durchzusetzen.

Ein großer Hoffnungsträger ist Max Kruse, der aber noch immer an seiner Fitness arbeiten muss. Seine Qualität hat der 32-Jährige gegen Augsburg aber schon angedeutet: mehr Präsenz und Druck im Offensivspiel. Der Name des ehemaligen Nationalspielers steht auch wieder mal für die gute Arbeit von Unions sportlichem Geschäftsführer Oliver Ruhnert. Schon in der vergangenen Saison wurde er für überraschende und gleichsam spektakuläre Transfers wie die von Christian Gentner oder Neven Subotic gefeiert.

Der Blick auf den gesamtem Kader der Köpenicker führt direkt wieder zu der Annahme, dass das zweite Erstligajahr zumindest sehr viel schwieriger als das erste ist. Beim Versuch, Karlsruhes Stürmer Philipp Hoffmann zu verpflichten, scheiterte Union an der geforderten Ablösesumme des Zweitligisten. Gegen Augsburg hatten es von den insgesamt acht Neuzugängen nur Torwart Andreas Luthe, der deutliche Schwächen im Spiel mit dem Ball hat, und Robin Knoche in die Startelf geschafft. Noch ist nicht zu sehen, wer eine Verstärkung sein kann. Bei Innenverteidiger Knoche fangen die größten Probleme der Köpenicker an. Im letzten Test vor dem Ligaauftakt gegen Zweitligist Nürnberg und gegen Augsburg wirkte der 28-Jährige sichtlich überfordert. Mit fehlender Schnelligkeit, falschem Stellungsspiel und teilweise haarsträubend schlechter Spieleröffnung verunsicherte er das ganze Team und war direkt an Gegentoren beteiligt. Die Defensive war in der vergangenen Saison Unions größte Stärke - mit Keven Schlotterbeck als zentraler Figur in der Abwehr. Dass es Oliver Ruhnert schwerfällt, entsprechenden und bezahlbaren Ersatz zu finden, ist ein Indiz für höhere Herausforderungen im Jahr zwei in Liga eins.

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