- Politik
- Wolfgang Clement
Schröders Strukturwandler
Der ehemalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ist gestorben
Wolfgang Clement mag ein netter Opa gewesen sein, immerhin hatten er und seine Frau Karin 13 Enkelkinder. Ein netter Politiker war er nicht. Zumindest nicht in den Augen von Millionen Menschen, die unter den Folgen der Agenda 2010 zu leiden hatten und haben, die Clement als Wirtschafts- und Sozialminister der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder in den 2000er Jahren durchgepaukt hat. In seiner Partei, der SPD, und in der Gesellschaft.
Die Polarisierung führte gar zur Entzweiung - Kompromisse mit den in seinen Augen veralteten Positionen der einstigen Sozialdemokratie waren nicht Clements Ding. Als diese Positionen sich im Angesicht unaufhörlicher Wahlniederlagen wieder etwas mehr Gehör verschafften, verließ er 2008 die Partei. Mehrfache politische Äußerungen seither zeigten seine inhaltliche Nähe zur FDP, doch schon vorher hatten viele Genossen ihn als bekennenden Liberalen wahrgenommen.
Nichtsdestotrotz oder besser gerade deshalb: Als am Sonntag die Nachricht vom Tod Wolfgang Clements sich verbreitete, überboten sich politische Würdenträger darin, seine Rolle als »streitbarer Charakter« und »moderner Macher der Hartz-Reformen« (NRW-Ministerpräsident Armin Laschet), als »großer Patriot« (Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier) oder als »Kämpfer für die soziale Marktwirtschaft« (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier) hervorzuheben, also jene Rolle des Verstorbenen, mit der er über seine Lebzeiten hinaus in Erinnerung bleiben wird. Als kompromissloser Vollstrecker der Interessen der Wirtschaft, auch auf Kosten jener Menschen, die den Preis dafür zahlen.
Eigentlich Journalist, hatte Clement eine Karriere in der SPD hingelegt, die ihn zum Sprecher Willy Brandts und zum Vertrauten von Johannes Rau werden ließ, der als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen offenbar einen Narren an dem Jüngeren gefressen hatte. Als Raus natürlicher Nachfolger im Amt galt Clement irgendwann und wurde schließlich tatsächlich Regierungschef Nordrhein-Westfalens. Doch dann wechselte er in die Bundesregierung, und die von ihm vertretenen Reformen auf dem Arbeitsmarkt brachten nicht nur die SPD, sondern auch ihn persönlich immer wieder unter Rechtfertigungsdruck. Dies beantwortete er mit Gegenangriffen. Als Andrea Ypsilanti 2008 Anstalten machte, in Hessen eine Landesregierung mit klarer linker Ausrichtung zu bilden, warnte Clement vor einer Wahl der SPD.
In einem Dokumentarfilm zwei Jahre später lässt Clement kein gutes Haar an seiner ehemaligen Partei, die er auf dem Wege sieht »ihren Charakter zu verlieren«. Unbarmherzig träufelt er seine Verbitterung in die Szenen, darüber, dass er nicht mehr gelitten ist und dass die Partei sich von der Politik seiner Regierungsjahre abwende, die doch gerade ihre Erfolge zeige. Diese Geschichte vom Erfolg der Reformen trennt etwa die Bundesregierung von jenen Menschen in Deutschland, die sie als Fluch empfinden.
»Wolfgang Clement hat viel dazu beigetragen, notwendigen wirtschaftlichen Strukturwandel und die Belange der arbeitenden Menschen miteinander in Einklang zu bringen«, ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Sprecher mitteilen. Bei diesem Zwist über die Verdienste Clements wird es bleiben.
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