En marche steckt fest, Macron sucht Ersatz
Streit um die Strategie lähmt Frankreichs Präsidentenpartei
Als Emmanuel Macron 2016 seine Bewegung gründete, nannte er sie En marche, um die Dynamik seines Sturms auf das Präsidentenamt zu betonen. Doch heute tritt die Partei auf der Stelle, in den Gremien und in der Parlamentsfraktion von En marche fliegen die Fetzen. In den vergangenen Tagen hat erst der stellvertretende Vorsitzende der Bewegung, Pierre Person, sein Amt niedergelegt und dann auch noch die offizielle Sprecherin Aurore Bergé. Beide vermissten »neue Ideen«. Zuvor waren schon mehrere Abgeordnete, die sich bei En marche politisch nicht mehr am rechten Platz fühlten, zu anderen Parlamentsfraktionen übergewechselt. Dadurch verfügt En marche in der Nationalversammlung nicht mehr über die absolute Mehrheit und ist bei Abstimmungen auf die Unterstützung der Zentrumspartei Modem angewiesen.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war der Misserfolg bei Teilwahlen in sechs Wahlkreisen, wo aus unterschiedlichsten Gründen kurzfristig je ein neuer Abgeordneter gewählt werden musste. Dabei konnte En marche nicht einen Kandidaten wenigstens bis in die Stichwahl bringen. Bei der bevorstehenden Teilwahl zum Senat droht die Fraktion von En marche in der zweiten Kammer des Parlaments auf die Hälfte zu schrumpfen. Wie schon vor Monaten bei der Kommunalwahl rächt es sich, dass En marche eine auf Paris fixierte Elitepartei ist.
Auf der Sitzung des Exekutivbüros von En marche, wo die Teilwahlen ausgewertet wurden, brach ein heftiger Streit um die Ursachen aus, berichten Insider. Die Nerven liegen blank, denn im kommenden Frühjahr steht mit den Regionalwahlen eine neue ernste Prüfung bevor, die als eine Art Generalprobe für die Präsidentschaftswahl 2022 gilt. Dabei gibt es bisher weder Absprachen mit möglichen Partnern noch Kandidatenlisten. An deren Spitze will Macron Minister der Regierung haben, aber möglichst aussichtsreiche. Das Desaster mit der Gesundheitsministerin Agnès Buzyn, die bei der Kommunalwahl in Paris schmählich gescheitert ist, soll sich nicht wiederholen.
Von vielen Politikern der Bewegung wird als größtes Handicap angesehen, dass ihr Programm nicht entsprechend den Entwicklungen im Land aktualisiert wurde und dass es ihr damit an einer Orientierung auf konkrete Ziele und an einer Strategie fehlt, wie sie erreicht werden sollen. So wurden keine konkreten Lehren aus der spontanen Protestbewegung der Gelben Westen, dem Widerstand gegen die Rentenreformpläne oder in jüngster Zeit aus der Kritik am Management der Coronakrise gezogen. Jetzt hat der Vorsitzende der Bewegung, Stanislas Guerini, erst einmal die durch die Rücktritte entstandenen Lücken gestopft: Neue Kader wurden ins Exekutivbüro kooptiert, wobei man sorgsam auf das Gleichgewicht zwischen linkem und rechtem Flügel achtete. Dabei konnten gleich einige bei der letzten Regierungsumbildung beschäftigungslos gewordene Politiker untergebracht werden. Eine komplette Neuwahl der Mitglieder des Führungsgremiums wurde auf einen Zeitpunkt nach der Regionalwahl verschoben. Damit konnte auch die unausweichliche Auseinandersetzung zwischen linkem und rechtem Flügel hinausgezögert werden. Beide Seiten hoffen dabei auf programmatische Äußerungen oder Initiativen von Emmanuel Macron, die ihre Positionen stärken würden.
Doch die bleiben aus. Es häufen sich im Gegenteil die Zeichen dafür, dass der Präsident den Kampf um seine Wiederwahl mit einer völlig neuen Organisation bestreiten will. Die hat Premierminister Jean Castex, dem Macron zusätzlich die Rolle des Führers der Regierungskoalition zugewiesen hat, schon einmal vage »Unser Haus« genannt. Dafür sollen wohl Persönlichkeiten gewonnen werden, die sich bisher noch nicht politisch engagiert haben, die ein möglichst breites Spektrum bilden und die die verschiedensten Schichten und Strömungen in der Bevölkerung widerspiegeln. Doch in einer solchen Organisation würde En marche aufgehen und keinen nennenswerten Einfluss auf Ziele und Strategien haben, befürchten nicht wenige Politiker an der Spitze der Bewegung.
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