Neukaledonien nimmt neuen Anlauf

Per Referendum entscheiden die Bürger der pazifischen Inselgruppe über eine Loslösung von Frankreich

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

In Neukaledonien, einer Inselgruppe im südlichen Pazifik, die als weitgehend autonomes Überseeterritorium zu Frankreich gehört, findet am Sonntag ein Referendum über eine eventuelle Unabhängigkeit statt. Die meisten der europäischstämmigen Einwohner, deren Anteil an der heutigen Bevölkerung bei 34 Prozent liegt, sind Nachfahren von Häftlingen und ihrer Wärter oder später eingewanderter Siedler aus Frankreich. Die Urbevölkerung der Melanesier oder Kanak stellt mit 44 Prozent immer noch die Bevölkerungsmehrheit. Unter ihnen hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten eine Bewegung entwickelt, die für die nationale Unabhängigkeit kämpft.

Höhepunkt war ein bewaffneter Aufstand, bei dem 1988 von militanten Aktivisten der Bewegung FLNKS (Front de libération nationale kanak et socialiste) 20 Gendarmen als Geiseln in eine Grotte auf der Insel Ouvéa verschleppt wurden. Die wurde durch französisches Militär zunächst tagelang belagert und dann nach ergebnislosen Verhandlungen gestürmt, wobei zwei französische Militärs und 19 Kanak ums Leben kamen. Die anschließenden Verhandlungen des sozialistischen Premiers Michel Rocard mit Vertretern der FLNKS führten zum Abkommen von Nouméa, in dem schrittweise Autonomie und bis 2022 bis zu drei Abstimmungen über die Unabhängigkeit vereinbart wurden.

Die erste fand 2018 statt und dabei votierten 56,7 Prozent für den Verbleib bei Frankreich. Die Frage auf dem Wahlzettel war und ist auch diesmal: »Wollen Sie, dass Neukaledonien die volle Souveränität erlangt und unabhängig wird?« Abstimmungsberechtigt sind nur die Kanak und die Caldoch genannten »historischen« weißen Einwohner, nicht jedoch die nach 1998 hierher übergesiedelten Franzosen. Damit können von den 215 000 wahlberechtigten Einwohnern Neukaledoniens nur 170 000 am Referendum teilnehmen.

Während von den europäischstämmigen fast alle für den Verbleib bei Frankreich sind, ist die Meinung unter den Kanak geteilt. Viele halten die Wirtschaftsbeziehungen mit der Metropole für unverzichtbar und nicht wenige bangen um die Sozialhilfe, denn heute kommt ein Drittel des Budgets der autonomen Inselverwaltung als Finanzhilfe aus Frankreich. Die Anhänger der Unabhängigkeitsorganisation FLNKS sind dagegen überzeugt, dass der Inselstaat durchaus auf eigenen Beinen stehen könnte, denn hier lagern 40 Prozent der Weltvorräte an Nickel, von dem erst ein Bruchteil erschlossen ist und abgebaut wird.

Während die rechtsextreme Bewegung RN und die rechtsbürgerliche Partei LR hemmungslos für ein »Nein« beim Referendum trommeln, verhält sich Emmanuel Macrons Bewegung En marche zurückhaltender. Sie will nicht den Eindruck aufkommen lassen, dass sich über sie der Präsident in die inneren Angelegenheiten der Inselgruppe einmischt. Um nicht alte Wunden aufzureißen, hatte Macron bei einem Besuch vor dem ersten Referendum 2018 in einer Rede in der Hauptstadt Nouméa lediglich erklärt: »Ohne Neukaledonien wäre Frankreich nicht mehr das, was es ist.«

Tatsächlich hat Neukaledonien für Frankreich große strategische Bedeutung, und dies nicht nur wegen der reichen Bodenschätze. Die Inselgruppe vor der australischen Nordostküste könnte bei Bedarf als Basis für die französische Marine und Luftwaffe dienen, um den Anspruch zu unterstreichen, geostrategisch im Pazifikraum mitzureden. Paris will hier nicht den USA den Alleinvertretungsanspruch für die westlichen Demokratien überlassen, andererseits aber auch wie Washington das immer massivere Vormachtstreben Chinas zurückdrängen.

Diese Gefahr sieht auch der neukaledonische Abgeordnete Philippe Gomès, der für die Bewegung En marche in der Pariser Nationalversammlung sitzt. Neukaledonien entsendet dahin zwei Vertreter, einen weiteren in den Senat. Gomès warnt: »Spätestens nach zehn Jahren Unabhängigkeit wären wir de facto eine Kolonie Chinas.« Das könne man am nahen Vanuatu studieren, das 1980 von den Mandatsmächten Großbritannien und Frankreich in die Unabhängigkeit entlassen wurde. »China hat massiv Entwicklungshilfe geleistet und hat Straßen und Hafenkais, Behördenbüros und Schulen gebaut, und heute ist die gesamte Wirtschaft fest in chinesischer Hand.«

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