Die Not eint

In der neuen Saison der Handball-Bundesliga geht es zunächst einmal nicht um Titel

  • Michael Wilkening, Mannheim
  • Lesedauer: 4 Min.

Bob Hanning und Marc-Henrik Schmedt stehen sich grundsätzlich in einer besonderen Konkurrenzsituation gegenüber. Sie gerieten in den zurückliegenden Jahren nicht nur wegen des Gerangels um Spieler aneinander. Vor dem Start der neuen Saison in der Handball-Bundesliga befinden sich der Macher der Berliner Füchse sowie der Manager des SC Magdeburg trotz der Rivalität ihrer Klubs in einem zentralen Punkt aber mal auf einer Linie: Sollte die anstehende Spielzeit in den kommenden Monaten wegen der anhaltenden Corona-Pandemie wie die vergangene abgebrochen werden müssen, sei das für die Vereine der Bundesliga »nicht mehr verkraftbar«, meinen beide unisono. Nicht nur die Berliner und Magdeburger legen ihr Augenmerk deshalb erst in zweiter Linie auf den sportlichen Wettbewerb, die Angst vor dem wirtschaftlichen Aus treibt alle Klubs um. Die Not eint alle, könnte man daraus ableiten.

Und so werden schon kleine Fortschritte gefeiert. Nach dem Supercupduell am vergangenen Wochenende zwischen Meister THW Kiel und »Vize« SG Flensburg-Handewitt vor etwa 2100 Besuchern in Düsseldorf war Frank Bohmann, Boss des Ligaverbandes (HBL), »sehr zufrieden« mit der Veranstaltung. Weiterhin baut er darauf, dass eine Hallenauslastung von maximal 20 Prozent, wie derzeit vorgesehen, bald noch weiter nach oben korrigiert werden kann. Dafür sei es notwendig, »dass wir die Probephase bis Ende Oktober gut abschließen und dann die Zahl der Zuschauer an allen Bundesligastandorten erhöhen können«.

Die Erstligisten sind in großem Maße abhängig von den Erlösen aus dem Verkauf von Eintrittskarten und deshalb im Moment nicht nur damit beschäftigt, die Einnahmeausfälle ins Budget einzurechnen. Sie schauen auch gespannt auf die Entwicklung der Infektionszahlen in Deutschland. Verschärft sich die Pandemielage, gerät der Betrieb der Liga ernsthaft ins Schlingern - unabhängig von den Vorkehrungen, die alle Vereine getroffen haben.

Die Klubs haben Vereinbarungen mit den Spielern erzielt, um die Kosten zu senken. So verzichten die Profis beim Spitzenklub Rhein-Neckar Löwen in den kommenden Monaten auf etwa 20 Prozent des vertraglich vereinbarten Gehaltes, beim THW Kiel wird hinter vorgehaltener Hand sogar über individuelle Verzichtserklärungen von bis zu 50 Prozent gesprochen. »Wir sind dankbar für das Miteinander«, sagt Jennifer Kettemann. Die Geschäftsführerin der Löwen kämpft wie ihre Kollegen seit Monaten darum, einen finanziellen Kollaps zu vermeiden.

Im Zeitraum von März bis Juli funktionierte das recht gut, denn durch den Saisonabbruch waren die Vereine in der Lage, mit Hilfe der staatlichen Kurzarbeiterregelung die Personalkosten fast komplett zurückzufahren. Nach der Wiederaufnahme des Trainingsbetriebs ist das nun aber nicht mehr möglich - und durch rückläufige Sponsoring- und ausbleibende Ticketeinnahmen ist die Lage aktuell bereits dramatisch. Mit der derzeit möglichen Auslastung von 20 Prozent der Plätze in den Hallen können viele Klubs die entstehenden Kosten decken, mehr ist aber nicht möglich. Die Rhein-Neckar Löwen verzichten zunächst sogar ganz auf die Unterstützung von Fans, weil »Geisterspiele« weniger Verluste bedeuten als eine Teilauslastung mit bis zu 2600 Zuschauern. Sollten in den Arenen der Profiklubs nach der sechswöchigen Probezeit ab Ende Oktober dauerhaft nur wenige oder gar keine Zuschauer zugelassen werden, droht vielen ohne staatliche Hilfe die Insolvenz.

Davon sind die kleineren wie auch die größeren Klubs gleichermaßen betroffen. Der sportliche Ausblick ist deshalb vernebelt. Punkte, Tore und Kempa-Tricks liegen nicht im Zentrum der internen Aufmerksamkeit. Sicher ist hingegen, dass besonders die Spitzenvereine und ihre Spieler vor einem anspruchsvollen Programm stehen. Für jene Nationalspieler, die mit ihren Klubs bis zum Ende in den internationalen Wettbewerben vertreten sein werden, stehen innerhalb von knapp neun Monaten bis zu 80 Pflichtspiele an. »Das wird extrem«, sagt Nationalmannschaftskapitän Uwe Gensheimer.

Die Debatte um eine Überbelastung der Spitzenkräfte ist aber zuletzt wie vieles andere in den Hintergrund gerückt worden. In den nächsten Wochen dürfte sie durch Verletzungen aber wieder in den Fokus gelangen. Möglicherweise hat die hohe Belastung auch Auswirkungen auf den Titelkampf, denn die grundsätzlich besser als die Konkurrenten besetzten Kieler müssen mit Nikola Bilyk (Kreuzbandriss) bereits lange auf einen wichtigen Rückraumakteur verzichten. Weitere Ausfälle drohen, so dass das Ensemble, das mit Topstar Sander Sagosen (Norwegen) hochkarätig verstärkt worden ist, angesichts des straffen Programms mit vielen Reisen Probleme bekommen könnte. Teams wie die SG Flensburg-Handewitt, Magdeburg oder die Löwen lauern daher auf Schwächen des Favoriten, tragen jedoch grundsätzlich das gleiche Risiko.

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