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Massenmord mit deutscher Hilfe
Im Oktober 1965 setzten die antikommunistischen Massaker in Indonesien ein
Auf der Veranda von Dolorosa Sinaga in Jakarta ruht eine Bronzeskulptur. Sie zeigt den ehemaligen indonesischen Staatspräsidenten Abdurrahman »Gus Dur« Wahid als fröhlichen, Sarong tragenden Buddha. Dabei war der Abgebildete kein Buddhist - der 2009 verstorbene Wahid ist der große Mann des modernen, toleranten, demokratischen indonesischen Islam. Neben Gus Dur steht vor dem Haus der Bildhauerin die kleine Statue einer Frau, die einem Bewaffneten ein Buch hinhält und fragt: »General, haben Sie das Buch der Liebe gelesen?«
Vor fünf Jahren hatte sich Sinaga an der Organisation des Internationalen Volkstribunals (IPT) beteiligt, das den Massenmord in Indonesien aufarbeiten sollte. Die Veranstaltung fand damals in Den Haag statt, denn Indonesien ist kein guter Ort dafür. Das ist noch immer so: Gerade erst wurden von Präsident Joko Widodo zwei Generäle auf hohe Posten im Verteidigungsministerium berufen, die noch 1997/98 - während des Zusammenbruchs der Diktatur von Haji Mohamed Suharto - an der Entführung von 23 Demokratieaktivisten beteiligt gewesen sein sollen. Ein Entführter wurde tot aufgefunden, 13 sind verschwunden. Der heutige Verteidigungsminister ist Suhartos Ex-Schwiegersohn Prabowo Subianto, der 1998 als Oberbefehlshaber der Eliteeinheit Kopassus ebenfalls an der Niederschlagung der Demokratiebewegung und an anti-chinesischen Pogromen beteiligt war.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Bis heute ist dieser Massenmord auch international nicht angemessen bekannt. Die Gewaltorgie gegen vermeintliche oder tatsächliche Kommunisten und die chinesische Minderheit, der zwischen 500 000 und drei Millionen Menschen zum Opfer fielen, begann mit einem bis heute ungeklärten Verbrechen: Am 30. September 1965 wurden sechs Armeegeneräle ermordet. Suharto, selbst General, warf die Tat sofort der Kommunistischen Partei Indonesiens (KPI) vor, als Teil eines Putschversuchs. So löste er die Entmachtung des Präsidenten Sukarno aus, der auch mit Kommunisten kooperiert hatte - und jene furchtbare Menschenjagd. 1967 übernahm Suharto die Macht und rief die »Neue Ordnung« aus, die für rund 26 Millionen Indonesier Gewalt, Tod, Verfolgung, Unterdrückung, Schikane, Diskriminierung und Berufsverbot brachte.
Die Putschlegende hält sich bis heute, teils auch im Westen. Dabei gilt als gesichert, dass sie falsch ist. Ebenso klar ist, wer die Massaker beging: Armee, religiöse Milizen wie etwa der militärische Flügel der Jugendorganisation der muslimischen Organisation Nahdlatul Ulama (NU). In der East Nusa Tenggara, der einzigen indonesischen Provinz mit einer katholischen Mehrheit, wüteten Katholiken. Im Norden Sumatras, einer Hochburg des Protestantismus, rekrutierte das Militär Gangsterbanden als Todesschwadronen. Die Leichen kamen in Massengräber, von denen die Opferorganisation Yayasan Penelitian Korban Pembunuhan 1965 (YPKP65) bislang 319 finden konnte.
Gesichert ist inzwischen auch eine direkte Beteiligung der Bundesrepublik. Vor Jahresfrist wertete das Nachrichtenportal T-Online ehemals geheime Akten des BND und des Auswärtigen Amtes aus, nach denen die Bonner Regierung 1965 rund 1,2 Millionen DM zur Finanzierung jener Medienkampagne lockermachte, die die Exzesse vorbereitete. Eine Schlüsselrolle soll der indonesische Brigadegeneral und Geheimdienstler Achmed Sukendro gespielt haben, den der damalige deutsche Botschafter in Jakarta als »einen der fähigsten und energischsten Antikommunisten« gepriesen habe.
Dass die Bundesrepublik gegenüber dem mörderischen Regime keine Berührungsängste hatte, war indes nie ein Geheimnis. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) besuchte Suharto gleich vier Mal - zuletzt noch 1996, zwei Jahre vor dessen Sturz. Der damalige Generalsekretär von Amnesty International, Volkmar Deile, forderte Kohl damals in dieser Zeitung auf, die Menschenrechtsverletzungen prominent anzusprechen - und auch die Verwendung der Waffen aus NVA-Beständen sowie der westdeutschen Panzer zu klären, die Bonn dem Regime geliefert hatte. Doch Kohl ging lieber mit dem Diktator angeln und golfen - und hatte wirtschaftliche Milliardendeals im Gepäck.
Für Bedjo Untung und Nursyahbani Katjasungkana ist die deutsche Unterstützung des Suharto-Putsches keine Neuigkeit. Spätestens, seit 2017 entsprechende CIA-Akten veröffentlicht wurden, sei das bekannt, sagt Untung, Gründer von YPKP65 - und fügt hinzu: »Es ist klar, dass die CIA eine wesentliche Rolle bei der Vorbereitung des Völkermords spielte.« Bei dem Tribunal in Den Haag zum 50. Jahrestag wurde der deutsche Beitrag zum Massenmord indes kaum erwähnt. »Wir wollten uns auf die Rolle der drei großen Staaten - USA, Großbritannien und Australien - konzentrieren«, sagt die Anwältin und Feministin Katjasungkana. Die heute 65-jährige ehemalige Koordinatorin des IPT, die einen Onkel und eine Tante bei den Massakern der verlor, wünscht sich aber eine offizielle Entschuldigung Deutschlands für diese Komplizenschaft.
Untung, inzwischen 72, beklagt, dass keine indonesische Regierung jemals Reue zeigte: »Die Kräfte der Neuen Ordnung sind - vor allem im Militär - noch immer an der Macht«, sagt der Javaner, der damals mit 17 Jahren einer Studentenorganisation in Zentraljava angehörte. »Die Organisation hatte nichts mit der PKI zu tun. Trotzdem standen wir auf den Todes- und Verhaftungslisten.« Untung versteckte sich fünf Jahre, 1970 wurde er verhaftet und gefoltert. Es folgten fast zehn Jahre in Gefängnissen und Lagern: »Ich habe Katzen, Schnecken und Gras gegessen. Sonst hätte ich nicht überlebt.« Nach der Entlassung 1979 bekam er keine Arbeit, musste sich monatlich beim Militär melden und Umzüge beantragen. Und selbst nach Suhartos Sturz prangte im Personalausweis einstiger politischer Gefangener der Stempel ET - eks tahanan politik -, der den Zugang zu Jobs in Verwaltung, Schulen, Militär und politische Karrieren verhinderte: »Mit dem Stempel bekamen wir nicht einmal Kredite, um uns eine Existenz aufzubauen.«
Während der Ära Suharto brachte sich in ernste Gefahr, wer der Propaganda von der »Heldentat zur Rettung des Vaterlands« widersprach. Präsident Abdurrahman Wahid, der auf Dolorosa Sinagas Terrasse verewigt ist, konnte sich nur von 1999 bis 2001 an der Macht halten. Als erste - und bislang einzige - staatliche Stelle nannte die indonesische Menschenrechtskommission 2012 die Massaker ein »systematisches Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Hier und da können kleinere Kinos die beiden erschütternden Filme »The Act of Killing« und »The Look of Silence« von Josh Oppenheimer zeigen, gelegentlich kann YPKP65 Veranstaltungen in Unis abhalten. Jüngere Indonesier tasten sich zögerlich und ängstlich an das »sensible Thema«, wie der Massenmord genannt wird, heran. Doch zugleich sind islamistische Strömungen erstarkt, die gegen »Kommunisten« - und Homosexuelle - hetzen. Die Angst bleibt, als »Kommunistenfreund« zu gelten. Veranstaltungen von Opferorganisationen werden oft verboten, durch Militärpräsenz eingeschüchtert oder gar von Schlägertrupps gesprengt.
Wegen der Pandemie, von der Indonesien stark betroffen ist, sind die Gedenkfeiern heuer bescheiden. Am 28. September versammelten sich einige Überlebende am Ort eines ehemaligen Arbeitslagers für 2000 Gefangene nahe Jakarta. Untung - der in den Lagern das Klavierspiel auf gemalten Tasten lernte und sich später bei ausländischen Familien als Musiklehrer verdingte -, sagt: »Wir beten für die Opfer, die in dem Lager misshandelt wurden und verhungert sind. Jeden Tag starben viele Gefangene. Mögen ihre Seelen im Himmel Ruhe und Frieden finden.« Und für Dolorosa Sinaga ist bei all dem nur eins klar: »Wer liebt, tötet nicht.«
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