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Apotheker in Not
Auf Insolvenz des Dienstleisters AvP könnte Apotheken-Pleitewelle folgen
Rezept vom Arzt holen, dann damit zur Apotheke, wahrscheinlich einen kleinen Betrag zuzahlen, Medikament mitnehmen und fertig. Mehr oder weniger so ist der Ablauf, wenn gesetzlich Versicherte in Deutschland rezeptpflichtige Arzneien brauchen. Wie geht es dann mit dem Rezept weiter? In der Apotheke werden diese »Wertpapiere« sortiert und dann an ein Rechenzentrum geschickt. Dort werden die Rezepte den verschiedenen gesetzlichen Kassen zugeordnet, verpackt und an diese weiter gesendet. Die Zahlung der Kasse an die Apotheken läuft über Konten des Rechenzentrums, die Apotheke bezahlt dann die Großhändler, von denen sie die Medikamente bezieht. Das Rechenzentrum erhält für die Abwicklung Gebühren.
Nun ist eines der großen Rechenzentren in der Bundesrepublik, die in Düsseldorf ansässige AvP Deutschland, pleite. Gerüchte dazu gab es in der Branche bereits Anfang September. Am 16. September eröffnete das Landgericht Düsseldorf das vorläufige Insolvenzverfahren. Ein vorläufiger Insolvenzverwalter wurde benannt. Dieser hat schwierige juristisch Fragen zu klären, da Apotheker mit AvP verschiedene Verträge mit unterschiedlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen hatten. Davon hängt ab, ob Kunden des Dienstleisters ihre Ansprüche aussondern lassen können, damit diese nicht in der Insolvenzmasse verschwinden. Durch die Pleite steckt der Monatsumsatz der Apotheken in der Insolvenzmasse von AvP, 300 Millionen Euro sollen auf den Konten eingefroren sein.
Die Inhaber der betroffenen Apotheken sind in heller Aufregung, suchen nach Zwischenfinanzierungen und Darlehen. Teils werden Pharma-Großhändler um Stundung gebeten. Der Ruf nach einem Rettungsschirm der Politik wird laut, und erhält noch einmal besonderen Nachdruck dadurch, dass die Apotheken in der Coronakrise ja als systemrelevant eingestuft wurden. Den AvP-Apotheken könnten jeweils Verluste von 120 000 bis 800 000 Euro entstehen. Branchenvertreter setzen diese Summen mit dem Gewinn von zwei Jahren gleich. Schon wird berechnet, wie viele Apotheken dadurch selbst von einer Insolvenz bedroht wären. Besonders kritisch ist das für ältere Inhaber, die kurz vor der Rente stehen - die Klärung ihrer Ansprüche könnte sich über Jahre ziehen.
Die Branche ist in den Bundesländern unterschiedlich betroffen. Etwa 80 Apotheken in Berlin (10 Prozent) und 100 in Brandenburg (20 Prozent) müssen um ihre Existenz bangen, in Mecklenburg-Vorpommern etwa 60. In Thüringen sind circa 60 Apotheker mit 80 Apotheken in Not. In Nordrhein-Westfalen könnte 200 von knapp 4000 Apotheken eine kurzfristige Schließung drohen. AvP hatte etwa 3200 Kunden, 2900 davon waren öffentliche Apotheken. Hinzu kamen Krankenhausapotheken und Sanitätshäuser.
In Deutschland wurden 2019 über 480 Millionen Rezepte abgerechnet, Umsatz fast 50 Milliarden Euro. Fast alle laufen über Rechenzentren. Die knapp 20 000 Apotheken haben sich für einen von etwa 18 dieser Dienstleister entschieden. Einige der größeren gehören selbst Apotheken. 13 private Anbieter teilen sich den Rest des Marktes. Dazu gehörte auch AvP. Mehr als Tausend Apotheker sind inzwischen zur Konkurrenz gewechselt, darunter zu Noventi. Dieses Münchener Unternehmen sieht sich mit etwa 9500 Apothekenkunden als Marktführer in Deutschland. AvP Deutschland hat nur etwa 60 Mitarbeiter, zu der Unternehmensgruppe gehören aber noch die Dachgesellschaft AvP Service und zwei Schwestergesellschaften. Eine davon und die Dachgesellschaft meldeten am 25. September ebenfalls Insolvenz an. In die große Politik hat es die AvP-Insolvenz auch schon geschafft. An diesem Mittwoch wird sie mit dafür geänderter Tagesordnung im Gesundheitsausschuss des Bundestages verhandelt. Dort soll es ein Fachgespräch mit Vertretern verschiedener Ministerien geben, neben dem für Gesundheit auch die für Wirtschaft sowie für Finanzen. Mit einem Konzentrationsprozess in der Branche war schon zuvor gerechnet worden - befeuert durch die Einführung des E-Rezepts und eine strengere Finanzaufsicht. Teile von AvP, die mit der Abrechnung von Sanitätshäusern und Krankenhausapothken beschäftigt sind, wurden mittlerweile schon von ARZ Haan übernommen - einschließlich von 35 Mitarbeitern.
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