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Vom Wind gestoppt

Radprofi Vincenzo Nibali startet schlecht in den Giro, während sein Team mit einem Rassismusfall kämpft

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei seinem Heimspiel hat Vincenzo Nibali bereits eine empfindliche Niederlage erlitten. Beim Zeitfahren zum Auftakt des Giro d’Italia im sizilianischen Palermo büßte er bereits mehr als eine Minute auf seinen wohl wichtigsten Kontrahenten um den Gesamtsieg, den Briten Geraint Thomas, ein. Nibali hatte sich bei der Berechnung der heimatlichen Winde verkalkuliert. Während der Tagesvierte Thomas weitgehend bei Windstille die bergab führende Strecke von der Normannenkathedrale in Monreale nach Palermo absolvieren konnte, blies Nibali - und allen anderen später gestarteten Fahrern - der Wind ins Gesicht. Natürlich gratulierte Nibali seinem Gegner. »Chapeau für seine Leistung«, fügte aber den Nachsatz hinzu: »... selbst wenn der Wind heute eine Rolle gespielt hat.« Jetzt muss der Italiener bereits am Anfang des Giro viel Zeit aufholen.

Erste Gelegenheit hat er an diesem Montag. 150 Kilometer lang ist die Etappe von Enna hoch hinauf zum Ätna. Auf den letzten 20 davon geht es von 535 auf 1793 Meter hinauf zum Vulkan. Nibali ist der Aufstieg natürlich bekannt. Er wuchs in der 100 Kilometer entfernten Hafenstadt Messina auf und war in der Jugend bereits als Mountainbiker auf dem Geröll des Vulkans unterwegs. Die asphaltierten Wege kennt er ebenfalls. Als der Giro d’Italia vor drei Jahren schon einmal zum Ätna fuhr, wurde er Tageszehnter inmitten der Favoritengruppe. Gemeinsam mit ihm kam allerdings Thomas an. Mit dem Briten mitzufahren, reicht diesmal nicht, will der Sizilianer seine Chancen auf den Gesamtsieg aufrecht erhalten.

Immerhin geht es vielen anderen Rivalen ähnlich. Mehr als eine Minute verloren auch der Niederländer Steven Kruijswijk und der Däne Jakob Fuglsang. Auch die dürften also versuchen, das Rennen für Geraint Thomas schwer zu machen.

Hoffnung machen kann Nibali seine aufsteigende Form. Bei der WM war er bis zum Finale mit dabei, kam mit knapp einer Minute Rückstand auf Weltmeister Julian Alaphilippe ins Ziel. Es war ein Aufatmen nach Wochen der Ungewissheit. »Das war der erste Tag, an dem ich mich gut gefühlt hatte in der neuen Halbsaison«, erklärte Nibali nachher. Zwar wollte er keine festen Ziele für den Giro verkünden. »Ich weiß selbst nicht, was ich zu leisten imstande bin«, meinte er gegenüber dem »Corriere della Sera«. Er sagte aber auch: »Die Erfahrung sagt mir, dass ich für die Großen Rundfahrten immer bereit bin.«

Das ist er tatsächlich. Je einmal hat er Tour de France und Vuelta a España gewonnen, zweimal bereits den Giro. Dort ist seine Beständigkeit enorm. Sechsmal trat er in den vergangenen zehn Jahren beim Giro an. Stets schloss er ihn auf dem Podium ab. Mit einem Sieg könnte er zu Italiens Legende Gino Bartali aufschließen. Dem gelangen fünf Grand-Tour-Siege (zweimal Tour, dreimal Giro).

Nibali, der in sechs Wochen 36 Jahre alt wird, fährt also vor allem für die Geschichtsbücher. Das kann ihn befreien. Beweisen muss er schließlich nichts mehr. Dafür kann er seine Stärken ausspielen: Das Gespür für den rechten Moment einer Attacke, seine legendären Abfahrtskünste und die Widerstandskraft, die sich sein Körper für höchste Belastungen über drei Wochen zugelegt hat. Verloren hat er hingegen an Explosivität. Deshalb braucht er lange Berge, um Unterschiede herauszufahren. In seinem neuen Team Trek-Segafredo kann er sich bei Tempofahrten bei Anstiegen auf den letztjährigen Bergkönig des Giro, Giulio Ciccone, als Helfer verlassen. Hoffen muss er zudem darauf, dass sich die Mannschaft von Geraint Thomas bei der Verteidigung des Führungstrikots für Auftaktsieger Filippo Ganna früh verausgaben muss.

Doch auch im eigenen Rennstall gab es zuletzt ein Vorkommnis, das zumindest mental Kraft gekostet haben könnte. Nibalis US-amerikanischer Teamkollege und Neuprofi Quinn Simmons bekannte sich im Twitter-Disput mit einer niederländischen Radsportjournalistin nicht nur zum umstrittenen US-Präsidenten Donald Trump. Er benutzte dabei auch ein als rassistisch gewertetes Emoji, ein braunes Handsymbol. So etwas gilt als moderne Form des Blackfacing.

Ein paar Monate zuvor hatte Simmons bereits einen afroamerikanischen Radprofi, der über rassistisch motivierte Benachteiligungen im US-Nachwuchsradsport geklagt hatte, mit der Botschaft »Du warst einfach nicht schnell genug« abzuqualifizieren versucht. Trek suspendierte Simmons vor wenigen Tagen wegen der Benutzung des Hand-Emojis.

Der Rennstallsponsor steht in den USA auch unter Beschuss, weil Polizisten, die auf Trek-Rädern unterwegs waren, Aktivisten der Black-Live-Matters-Bewegung attackiert hatten. Der Radproduzent sah, anders als andere Polizeiausrüster, die ihre Lieferungen einstellten, keinen Anlass, von diesem Geschäft zurückzutreten. Die Suspendierung von Simmons stellt daher vor allem einen Versuch dar, den Heimatmarkt zu beruhigen.

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