Wer braucht schon Stürmer?
RB Leipzig kombiniert sich mit neuer Taktik an die Spitze
Nach dem 4:0 gegen Schalke 04 sprudelten die Worte nur so aus Emil Forsberg heraus. »Wir haben Bock auf dem Platz gehabt, ein ganz geiles Spiel, das Riesenspaß gemacht hat«, schwärmte der Schwede. »Das war ein Topkick von uns, das muss man genießen.«
RB Leipzig hatte gegen den angeschlagenen Tabellenletzten am Samstagabend so lustvoll Fußball gespielt wie noch nie in dieser Saison. Eine Partie ganz nach dem Geschmack der Leipziger Fraktion mit den feinen Füßen. Und davon bot Trainer Julian Nagelsmann gleich vier in vorderster Linie auf. Ohne die angeschlagenen Yussuf Poulsen und Hee-chan Hwang - 20-Millionen-Zugang Alexander Sörloth durfte die letzten 20 Minuten ran - begann RB Leipzig zum ersten Mal überhaupt ohne etatmäßigen Stürmer. Stattdessen beorderte der Trainer Linksverteidiger Angeliño ins offensive Mittelfeld neben Dani Olmo und Christopher Nkunku. Ganz vorn wirbelte Emil Forsberg als »falscher Neuner«. Ein Viererbund so virtuos wie ein Streichquartett.
RB setzte also komplett auf Spielfreude und Kombinationsfußball und zeigte dabei - wenngleich der Gegner an Harmlosigkeit nicht zu überbieten war - mit einer Passquote von 90 Prozent eine neue Qualitätsstufe und Facette. Geradezu hilfreich dabei ist, dass Timo Werner nicht mehr im Team ist. Mit dem 24-Jährigen war die Mannschaft 90 Minuten damit beschäftigt, den Topstar in aussichtsreiche Positionen vor dem Tor zu bringen. In der neuen Struktur kombinierte sie sich nun einfach durch Schalkes Fünfer-Abwehrreihe und die Dreierkette davor, als wären die Gegenspieler nur Statisten. Bis auf Torhüter Péter Gulácsi und Abwehrhüne Dayot Upamecano schoss jeder Spieler aus der Startformation mindestens einmal aufs Tor. Das macht das Team noch schwerer ausrechenbar.
Wohlgemerkt dauerte es eine halbe Stunde, bis RB richtig gefährlich wurde. Erst nach der verletzungsbedingten Auswechslung von Schalkes bis dahin Bestem, Suat Serdar, fand der Favorit die Lücken. Dann aber saß in der ersten Hälfte nahezu jede Gelegenheit. Eingeleitet vom starken Spielmacher Kevin Kampl zwang Forsberg erst Schalkes Can Bozdogan zum Eigentor (31.), dann tanzte sich Nkunku im Zusammenspiel mit Olmo auf dem rechten Flügel frei und flankte genau auf die kahle Stirn des heranfliegenden Angeliño (35.).
»Wir waren schwer zu greifen für Schalke, waren sehr viel unterwegs mit den vier zentralen Mittelfeldspielern in vorderster Linie«, freute sich Trainer Julian Nagelsmann über seinen gelungenen Schlachtplan. »Die Jungs hätten heute aber auch ohne Matchplan ein gutes Spiel gemacht, weil sie unglaublich gallig und gierig nach Ballverlusten des Gegners waren«, lobte er. Jene Einstellung war die Erfolgsgrundlage. Dass kurz vor der Pause auch noch Willi Orban bei seinem Comeback in der Startelf zum 3:0 einköpfte, erledigte die Schalker bei der Premiere ihres neuen Trainers Manuel Baum endgültig.
Der neue Übungsleiter hatte sich bei seinem Einstand komplett auf die Defensive konzentriert und wollte RB mit einem Bollwerk den Zahn ziehen, wie ihm das bereits mehrfach mit Augsburg gelungen war. Doch dieser Destruktivfußball ging nicht auf, zu drückend war die Überlegenheit der Leipziger. »Wir haben zwar versucht, schnell nach vorn zu spielen, haben aber sehr mutlos agiert«, erkannte der Trainer geknickt.
Offensiv fand Schalke kaum statt. Bozdogan gab den einzigen gefährlichen Schuss ab, als er den sonst beschäftigungslosen Gulácsi mit einem platzierten Schuss von der rechten Seite zu dessen einziger Parade des Abends zwang. Immerhin fielen die »Königsblauen« in den zweiten 45 Minuten nicht völlig in sich zusammen und kassierten - unter freundlicher Mithilfe der Leipziger - nur noch ein weiteres Gegentor. Den unglücklich von Matija Nastasić verursachten Handelfmeter verwandelte Marcel Halstenberg sicher (80.) und widmete den Treffer, die Zeigefinger und den Blick nach oben gerichtet, seinem in der vergangenen Woche verstorbenen Vater.
Für Schalke taugte dieses Spiel höchstens, um alle Schwächen schonungslos aufzudecken. Und davon gibt es reichlich. »Wir müssen an allen Themen arbeiten, das ganzheitlich angehen«, sagte Baum wie ein Intensivmediziner. Schalke muss nach dem schlechtesten Saisonstart eines Teams in der Bundesliga überhaupt dringend offensiv wieder Gefahr entwickeln und braucht dafür ein Erfolgserlebnis. Sonst wird es schwer, aus dem Negativstrudel herauszukommen. RB hingegen eroberte zumindest bis zum Sonntagabend vorübergehend die Tabellenspitze und zeigt sich schon wieder in Frühform, was direkt Diskussionen um die Titelreife des Teams nach sich zog. »Kapazität und Potenzial haben wir«, sagte Forsberg dazu trocken.
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