Finanzministerin starrt erschrocken in die Glaskugel

Brandenburg droht eine enorme Neuverschuldung. Aber ob es wirklich so kommt, weiß niemand

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Als »Nervenstränge des Staates« soll Preußenkönig Friedrich II. einmal die Staatsfinanzen bezeichnet haben. Wenn das stimmt, dann sind die Nerven in Brandenburg zum Zerreißen gespannt. Die aktuell angekündigte Neuverschuldung sprengt jedes Maß. Fraglich ist dabei, ob allein die Coronakrise verantwortlich ist oder nicht mindestens in gleichem Maße strategische Weichenstellungen der Politik.

Die »Märkische Oderzeitung« und die Nachrichtenagentur dpa hatten am Montagmorgen zunächst gemeldet, das Land Brandenburg müsse und wolle im kommenden Jahr statt 1,9 Milliarden Euro sogar ganze drei Milliarden Euro Schulden machen.

Finanzministerin Katrin Lange (SPD) bestätigte das im Laufe des Tages so aber nicht. Sie verwies auf die nächste Steuerschätzung im November, die allein Grundlage ihrer dann auszuarbeitenden Beschlussvorlagen sein könne. Die genannten drei Milliarden Euro Kredit seien kein Vorschlag von ihr selbst, so erläuterte Lange, sondern würden sich errechnen, wenn im Zeitraum 2021 bis 2023 tatsächlich die jährlichen Steuereinnahmen um 400 bis 500 Millionen Euro geringer ausfallen sollten als ursprünglich erwartet. Es gehe also nicht allein um den Haushalt 2021 und es sei nicht sicher, ob es wirklich so komme. So seien für den Flughafen BER in Schönefeld 190 Millionen Euro angedacht, obwohl niemand wissen könne, wie sich das Passagieraufkommen am Airport tatsächlich entwickeln werde. Inwieweit das Land Brandenburg den Kommunen über das Jahr 2022 hinaus ihre Auslagen wegen der Coronakrise erstatten werde - das Stichwort lautet kommunaler Rettungsschirm - könne ebenfalls nicht gesagt werden. »Alle gucken wir in die Glaskugel«, bekannte Lange.

Auf Nachfrage ließ die Ministerin durchblicken, dass die benötige Summe niedriger, aber auch höher liegen könne als die »hypothetisch« berechneten drei Milliarden. Sie verwies darauf, dass von den bisher schon vom Landtag genehmigten zwei Milliarden Euro Schulden für das laufende Jahr erst 800 Millionen ausgegeben seien. »Ich freue mich über jede Kreditaufnahme, die wir nicht tätigen müssen«, sagte sie. Warum nicht auf das Mittel der Haushaltssperre zurückgegriffen wird? »Im Moment spart niemand«, sagte Lange.

Nach dem aktuellen Entwurf des Haushalts 2021 wächst der Schuldenberg Brandenburgs - den Nachtragshaushalt 2020 eingerechnet - in relativ kurzer Zeit um vier auf ungefähr 22 Milliarden Euro. Noch nicht berücksichtigt ist dabei die jüngste Steuerschätzung im September, wonach Brandenburg im kommenden Jahr voraussichtlich mit geringeren Steuereinnahmen in Höhe von rund 490 Millionen Euro rechnen muss. Dieses Defizit gesellt sich zu den schon im Mai prognostizierten Mindereinnahmen von 510 Millionen Euro.

Von den 1,9 Milliarden Euro Neuverschuldung, die bislang für das Haushaltsjahr 2021 geplant waren, sind rund 900 Millionen Euro bereits jetzt für Corona-Maßnahmen in den Jahren 2022 und 2023 reserviert. Sie sollen dazu in einen Sonderfonds fließen. Überdies werden die von der alten rot-roten Koalition angesparten Rücklagen von zwei Milliarden Euro weitgehend aufgebraucht.

Noch höhere Schulden sind eine der Möglichkeiten, auf die Steuerschätzung zu reagieren. Gegen die Krise anzusparen, wird als volkswirtschaftlich unvernünftig angesehen. Das wäre es in der Tat. Die Finanzministerin lehnte es bereits vor Wochen ab, das »Spar-Mariechen« zu spielen. Gestemmt werden müsse die Aufgabe gemeinsam von Regierung und Parlament.

Problematisch ist, dass im Landeshaushalt lediglich drei Prozent der Ausgaben wirklich »freiwillige« Ausgaben sind, das heißt solche, die dem Land allein vorbehaltene Ausgaben bleiben. Das weitaus größte Volumen besteht aus Aufwendungen, die durch Tarife, Gesetze und Verträge bestimmt sind, also gar nicht erst zur Debatte stehen können.

Der größte Posten im Etat sind die Personalkosten. 1995 hat das Land 15 Prozent seiner Ausgaben für die Gehälter der Staatsdiener aufgewendet, 2019 waren es annähernd 50 Prozent - und die nächste Tarifrunde für den öffentlichen Dienst läuft. Außerdem möchte die Regierung im kommenden Jahr noch 805 zusätzliche Stellen schaffen.

Die jede Vorstellung sprengende Neuverschuldung kommt ausgerechnet in einem historischem Moment, in dem die weitere Staatsverschuldung durch die vom Bund verhängte Schuldenbremse eigentlich verboten wurde. Nur in besonderen Notlagen sind Ausnahmen von dieser Regel zulässig. Die Coronakrise gilt als ein solcher Katastrophenfall.

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