»Catcalling« ist kein Kompliment

Verbale sexuelle Belästigung ist in Deutschland nicht strafbar. Die Studentin Antonia Quell hat eine Petition gestartet, um das endlich zu ändern

»Es ist 2020. Verbale sexuelle Belästigung sollte strafbar sein«, lautet die Forderung einer im August gestarteten Petition gegen das sogenannte Catcalling. Die Studentin Antonia Quell hat sie initiiert und bereits über 58.000 Unterstützende an ihrer Seite.

Der Begriff Catcalling meint übergriffige, sexuelle Äußerungen fremder Personen im öffentlichen Raum, die den Körper oder das Aussehen einer anderen Person kommentieren. Meist handelt es sich dabei um Männer, die Frauen auf der Straße begegnen, pfeifen, Küsse simulieren, obszöne Geräusche machen oder sich selbst in den Schritt greifen. Catcalling meint also verbale sexuelle Belästigung. Der Begriff steht jedoch auch in der Kritik. Denn die Anlehnung an das zu sich Rufen einer Katze empfinden Einige als zu harmlos und der Ernsthaftigkeit der Sache nicht gerecht.

In ihrer Petition betont Quell, dass es sich beim Catcalling nicht um missglückte Flirtversuche oder das Zeigen von Interesse handelt. Vielmehr werde Macht und Dominanz ausgenutzt: Männer sehen sich im Recht, eine Frau einfach belästigen zu dürfen. Aber »Ey Blondie«, »Schnecke komm doch mal rüber«, Kuss- und Pfeifgeräusche oder anzügliche Gesten sind keine Komplimente, heißt es in der Petition. Nichts davon würde man seiner eigenen Mutter ins Gesicht sagen, wieso aber fremden Frauen auf der Straße? In den Kommentaren zu Quells Petition pflichten viele der Studentin bei: »Catcalling wurde lange genug totgeschwiegen oder als vermeintliches Kompliment betitelt. Wir sollten der Welt zeigen, dass wir in Deutschland in der Lage sind ein respektvolles Kompliment von Belästigung unterscheiden zu können«, findet etwa Kira Lange aus Münster.

In Deutschland ist sexuelle Belästigung bisher nur dann strafbar, wenn sie mit Berührungen einhergeht. »Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft«, heißt es im Paragraf 184i Strafgesetzbuch. Auch der Paragraf 177, der sexuelle Übergriffe, Nötigung und Vergewaltigung regelt, macht körperlichen Kontakt notwendig. Nur fängt sexuelle Belästigung faktisch nicht erst bei einem körperlichen Übergriff an. Auch Worte und Gesten können bereits bleibende Verunsicherung und Angst hervorrufen.

Zwar können einige Catcalls auch als Beleidigung verurteilt werden, wenn beispielsweise Schimpfwörter verwendet wurden, allerdings werde dabei nicht deutlich, »dass es bei diesen Äußerungen um eine sexuelle Verobjektivierung, eine Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung geht«, meint etwa die Juristin Anja Schmidt im »Spiegel«. Doch genau das geschieht mein Catcalling: Die Täter*innen greifen mittels Pfeifen, Anstarren oder sexualisierten Kommentaren das sexuelle Selbstbestimmungsrecht anderer Menschen an, indem sie direkt oder indirekt zu sexuellen Handlungen aufgefordert werden.

Und Betroffene von Catcalling gibt es genug: Laut einer aktuellen Pilotstudie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erleben 44 Prozent der Frauen in Deutschland Situationen, in denen sie Adressatin sexistischer Zeichen und Übergriffe sind. Bei den Männern sind es 32 Prozent. Allerdings weist die Studie auch darauf hin, dass sexuelle Belästigung nicht von jeder Person auch gleich schlimm wahrgenommen wird. Eine europaweite Umfrage des französisches Meinungs- und Marktforschungsinstitut Ifop von 2018 kam sogar zu dem Ergebnis, dass 64 Prozent der befragten Frauen in Deutschland trotz mangelnder Zustimmung beharrlich angesprochen, teils sogar verfolgt wurden.

Wie also umgehen, mit verbaler sexueller Belästigung, die so vielen tagtäglich erleben, bisher aber nicht strafbar ist? Neben der Möglichkeit die Kommentare einfach zu ignorieren, wird Betroffenen empfohlen, den Belästiger auf sein Fehlverhalten anzusprechen. Etta Hallenga von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf rät im Gespräch mit dem Onlinemagazin »Jetzt« allerdings davon ab, Fragen wie »Was soll das?« zu stellen. Damit würde Interesse an einem Austausch signalisiert, das vermutlich nicht vorhanden ist. Zudem werde der Belästiger wohl kaum eine gute Erklärung für sein Verhalten liefern können.

In sozialen Netzwerken haben Betroffene weitere Wege gefunden, um mit ihrer erlebten Belästigung umzugehen: Etliche Instagram Accounts posten unter dem Hashtag #stopptbelästigung ganz konkrete Erfahrungen, die sie mit Kreide auf die Straße am »Tatort« malen. Nach dem ersten Account dieser Art in New York, gibt es diese Kanäle mittlerweile für die verschiedensten Städte – und zwar weltweit. Sie alle wollen den alltäglichen Sexismus wortwörtlich ankreiden.

Eine weitere Methode fand die Holländerin Noa Jansma. Einen Monat lang fotografierte sie all jene Männer, die ihr hinterherriefen, sie beleidigten oder sogar anfassten. Die 20-Jährige machte Selfies mit ihren Catcallern, die überwiegend stolz auf ihre Taten wirken, und stellte sie ins Netz. Der Account habe »das Ziel, Bewusstsein für die Objektivierung von Frauen im Alltag zu schaffen«, erklärt Jansma auf Instagram.

Mit ihrer Forderung, Catcalling strafbar zu machen, betont die Studentin Quell auch die normative Wirkung eines solchen Gesetzes: »Das deutsche Recht sollte ein Wegweiser für Richtig und Falsch sein«, heißt es in ihrer Petition. »Ein Gesetz gegen Catcalling demonstriert, dass verbale sexuelle Belästigung definitiv falsch ist.« Dies sei »noch viel wichtiger als die Geldstrafen« und kann im besten Fall dazu führen, dass übergriffige Catcalls nicht mehr als missglückte Flirts verharmlost werden.

In Frankreich ist Catcalling bereits seit 2018 strafbar. Bis zu 750 Euro Bußgeld können die Behörden verhängen, in Fällen, bei denen die Betroffene unter 15 Jahren alt ist, sogar 1500 Euro. Laut der Nachrichtenagentur Reuters haben die französischen Behörden ein Jahr nach in Kraft treten des Gesetzes mehr als 700 Männer wegen Belästigung von Frauen in der Öffentlichkeit bestraft. Auch in Portugal, Belgien und in den Niederlanden ist Catcalling verboten.

Ähnliches wünscht sich Antonia Quell in Deutschland. »Verbale sexuelle Belästigung braucht einen eigenen Platz im Gesetz«, findet sie. Kritiker*innen der Petition sprechen von einer unnötigen Erweiterung der gesetzlichen Strafbarkeit und sehen, wie oft im Kontext sexualisierter Gewalt, die Gefahr willkürlicher Falschanschuldigungen. Nicht zuletzt sei die praktische Umsetzung schwer, immerhin stünde Aussage gegen Aussage. Herausforderungen, die allerdings auch im Kontext von Beleidigungen oder Vergewaltigungen der Fall sind – beides im Strafgesetzbuch geregelt Straftatbestände. Was genau unter Catcalling fällt, müsste jedoch klar definiert werden. Nicht zuletzt, weil die Wahrnehmungen belästigender Kommentare oder Gesten sehr verschieden sein können. Aber dennoch: Eine gesetzliche Absicherung zu haben, täte vielen Betroffenen sicher gut. Sie macht klar, dass die Schuld niemals bei der belästigten Person selbst liegt.

Unterstützung für ihren Vorstoß erhält Quell bereits von Grünen-Politiker*innen, wie Renate Künast, Anton Hofreiter und Annalena Baerbock. Mit einer gemeinsamen Stellungnahme hat die Fraktion der Grünen im Bundestag ihre Zustimmung zu Quells Forderung erklärt. Aber auch das Magazin Emma, dessen rechtsliberaler Feminismus und islamfeindliche Äußerungen seit langem kritisiert werden, wird als Unterstützerin gelistet.

Quells Petition läuft noch weitere acht Wochen, dann soll sie an Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) übergeben, sowie im Bundestag eingereicht werden - mit Aussicht auf Erfolg. Bereits die Petitionen zur verminderten Besteuerung von Menstruationsprodukten sowie der Bestrafung des Upskirting führten zu erfolgreichen Gesetzesänderungen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.