Lehrlinge ziehen Lehren aus Geschichte

24 Berufsschüler des Eduard-Maurer-Oberstufenzentrums sanieren Teile der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen

  • Andreas Fritsche, Oranienburg
  • Lesedauer: 5 Min.
Hadi Rezaie (l.) und Jerry Mattes (Mitte) streichen mit einem Kollegen ein Geländer auf dem alten Industriehof der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen.
Hadi Rezaie (l.) und Jerry Mattes (Mitte) streichen mit einem Kollegen ein Geländer auf dem alten Industriehof der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen.

»Das ist schockierend. Dass die Leute da mitgemacht haben.« Jerry Mattes kann es kaum fassen. »Einmal in den Kopf geschossen und dann rein in den Ofen. Grausam.« Mattes trägt seine Arbeitskleidung. Er absolviert eine Lehre im Metallbau. Seine Berufsschule ist das Eduard-Maurer-Oberstufenzentrum in Hennigsdorf. Seine handwerklichen Fertigkeiten kann er nun schon einmal auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen anwenden. Mit anderen Lehrlingen hat er auf dem ehemaligen Industriehof des Konzentrationslagers ein Geländer an einer Rampe vom Rost befreit und streicht es nun mit frischer Farbe.

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Aber die jungen Männer lernen bei diesem freiwilligen Einsatz noch mehr: Es geht bei dem Projekt auch darum, etwas über die Nazivergangenheit zu erfahren. Normale Besucher dürfen wegen der Corona-Pandemie gegenwärtig nur die Freiflächen der Gedenkstätte betreten. Die Museen sind geschlossen. Doch die Ausbilder der Lehrlinge haben einen Schlüssel bekommen, damit sich die jungen Leute zwischendurch die eine oder andere Ausstellung ansehen können.

Was Jerry Mattes da sah, hat ihn erschüttert. Auch Hadi Rezaie hat Dinge erfahren, die er vorher noch nicht wusste: Dass Menschen vergast worden sind. Als Flüchtling ist Rezaie aus Afghanistan gekommen, er ist jetzt im dritten Lehrjahr. Die Verfolgung und Ermordung der Juden erinnert ihn ein wenig an den ewigen Krieg in seiner Heimat, an die Kämpfe von unterschiedlichen Volksgruppen, die doch friedlich miteinander leben sollten.

Bereits seit 1993 kommen Lehrlinge des Schulzentrums Alfred-Lonke-Straße in Bremen für eine Woche im Jahr und renovieren Teile der Gedenkstätte. Seit 1998 machen sie es gemeinsam mit den Hennigsdorfer Lehrlingen, die keine so weite Anreise haben. Wegen der Corona-Pandemie mussten die Bremer dieses Jahr fernbleiben. Ihre Heimatstadt ist inzwischen Risikogebiet. Vorsorglich hatten sie ihre Reservierung in der Jugendherberge an der Gedenkstätte bereits lange vorher storniert, bevor sie noch hohe Gebühren dafür hätten zahlen müssen.

Doch die jungen Leute vom Eduard-Maurer-Oberstufenzentrum wohnen in der Nähe. Sie benötigen keine Übernachtungsmöglichkeit, können täglich von zu Hause herkommen und machen das seit Montag eine Woche lang.

Darüber freut sich Horst Seferens, Sprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Zwar gibt es vor Ort drei fest angestellte Handwerker. Doch die können die ganze Arbeit nicht allein schaffen. Es gibt für die Lehrlinge auf dem weitläufigen Gelände auf Jahre hinaus immer etwas zu reparieren. Eine der Daueraufgaben ist die Sanierung der historischen Lagermauer. Die ist stellenweise so brüchig, dass schon Abschnitte vom Sturm umgeworfen worden sind. Stück für Stück setzen vier Maurerlehrlinge vorgefertigte Betonkronen oben auf, damit künftig weniger Nässe ins Mauerwerk eindringt und bei Frost für Risse sorgt.

An der alten Lagerwäscherei erneuern angehende Trockenbauer, Fliesenleger und Metallbauer die Rasenkantensteine. »Auf Gehrung geschnitten« sind diese Steine bereits, wie es fachmännisch heißt, es stimmen also alle Winkel. Das ist eigentlich keine Arbeit für ihre Gewerke, aber es muss getan werden und Handwerk ist Handwerk. »Wir machen das für einen guten Zweck«, betont Trockenbaulehrling Johannes Gröppler. Wer nicht hinter der Sache steht, hätte sich für das Projekt nicht gemeldet. Neonazis gebe es nicht unter ihnen, versichert Gröppler. Aber auf dem Bau hat er unter Hilfsarbeitern schon welche mit rechten Ansichten getroffen. Mit denen zu diskutieren, habe leider keinen Sinn. Die würden es doch nicht begreifen.

Um die Ecke haben Lehrlinge einen kleinen Kran demontiert. An einem Schild konnten die Lehrlinge ablesen, dass dieser Kran aus DDR-Produktion stammte. Er diente dazu, Kohlen über eine Luke in den Keller der ehemaligen Wäscherei zu befördern. Dort befand sich einst die zentrale Heizanlage der Gedenkstätte, jetzt aber nicht mehr. Darum konnte und sollte der Kran weg, weil er nicht in das möglichst authentische Bild des Konzentrationslagers passt und nicht einmal ein Zeugnis des Gedenkens in früheren Jahrzehnten ist wie zum Beispiel das riesige Monument hinter der Wäscherei. Am Kohlenschacht zeichnet sich schon Arbeit für die Projektwoche im nächsten Jahr ab. Hier könnten die Lehrlinge dann die Abdeckung aus inzwischen stark rostenden Metallplatten austauschen. Die Gittertore am alten Kartoffelkeller kommen bereits dieses Jahr dran. Vasco de Nobile, der im dritten Lehrjahr ist, entfernt mit einem Schleifgerät Rost und den Schmutz. Anschließend wird es einen frischen Anstrich geben. Die Lehrlinge sind auch mal in den Kartoffelkeller geklettert und haben dort eine alte Metallkanne entdeckt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine vergessene Hinterlassenschaft aus der Lagerzeit. Darum wird sie der Gedenkstätte zur Aufbewahrung übergeben.

Insgesamt 24 Lehrlinge sind im Einsatz, darunter auch ein paar junge Männer und Frauen, die das Fach des Gestaltungstechnischen Assistenten erlernen und hier alles fotografieren und dokumentieren. Auf dem Weg über das Gelände und zu den einzelnen Baustellen geht es auch in Bereiche, die Besuchern der Gedenkstätte sonst nicht zugänglich sind. Einmal wird dabei ein Holztor passiert, das wie andere Tore bei einem früheren Einsatz aufgearbeitet wurde. Daneben gibt es noch ein paar Holztore, die das auch nötig hätten. Aber dazu bräuchte man die Tischlerlehrlinge aus Bremen. Nächstes Jahr wollen sie unbedingt wieder dabei sein. Dann kann es an dieser Baustelle weitergehen.

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