Das dunkle Herz der Milchstraße

Physik-Preis für die Erforschung Schwarzer Löcher. Es wurde in dieser Sparte erst die vierte Frau geehrt

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 6 Min.

Schwarze Löcher sind höchst eigenartige kosmische Objekte. Genau genommen sind sie unsichtbar. Denn ihre Masse ist so groß, dass sie selbst das Licht gefangen halten. Finden kann man sie inzwischen dennoch. Denn sie verraten sich durch ihre Schwerkraftwirkung. So entdeckten auch Forschungsgruppen um den deutschen Astrophysiker Reinhard Genzel und seine US-Kollegin Andrea Ghez mit Hilfe riesiger Teleskope unabhängig voneinander, dass ein unsichtbares und extrem schweres Objekt die Umlaufbahnen der Sterne im Zentrum unserer Galaxie beherrscht. Ein supermassereiches Schwarzes Loch sei dafür die einzige plausible Erklärung. Dafür erhalten die beiden eine Hälfte des Preises, wie die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Dienstag in Stockholm mitteilte. Die zweite Hälfte geht an den Briten Roger Penrose, der erkannte, dass die Bildung Schwarzer Löcher sich aus der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins ergibt.

Bemerkenswerterweise gab es schon lange vor Einstein die Vermutung, es könnten so extrem massereiche Objekte im All existieren, dass von ihnen nicht einmal das Licht entweichen kann. Der englische Physiker John Michell erwähnt eine solche Möglichkeit in einer Publikation von 1784. Allerdings basiert Michells Hypothese, ebenso wie der mathematische Beweis durch den französischen Gelehrten Pierre-Simon Laplace (1749-1827), nicht nur auf der Newtonschen Gravitationstheorie, sondern auch auf dessen Annahme, Licht bestehe aus Teilchen, die der Gravitation unterliegen. Immerhin hatte Michell 1784 auch schon eine Idee, wie man ein solches Massemonster findet, wenn man es schon nicht sehen kann: mit Hilfe der Bahnbeobachtung umkreisender kosmischer Objekte.

Nobelpreis für Physik
Der Brite Roger Penrose (Jg. 1931) forscht an der University of Oxford. Reinhard Genzel, 1952 geboren in Bad Homburg (Deutschland), ist Direktor am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching bei München). Andrea Ghez, 1965 in New York geboren, arbeitet an der University of California, Los Angeles (USA).

Roger Penrose (89), der an der University of Oxford arbeitet, fand geniale mathematische Methoden, um mit Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie zu arbeiten, wie das Nobelkomitee mitteilte. Zehn Jahre nach Einsteins Tod habe Penrose aufgrund dieser Theorie dann 1965 gezeigt, dass Schwarze Löcher existieren müssen. Wichtige Vorarbeiten habe bereits der deutsche Astrophysiker Karl Schwarzschild 1916 geleistet. Einstein selbst hat nicht an die Existenz Schwarzer Löcher geglaubt. Die Bezeichnung Schwarzes Loch erfand der US-Physiker John Archibald Wheeler Mitte der 1960er Jahre.

Produkt kollabierender Sterne

Schwarze Löcher entstehen nach der weithin akzeptierten astrophysikalischen Theorie, wenn in Sternen mit sehr großer Masse am Ende ihrer Entwicklung keine Kernfusion mehr stattfindet. Dann kollabiert der Stern infolge der eigenen Gravitation. Ist die Restmasse zu groß, um als Neutronenstern zu überleben, dann muss nach weit verbreiteter Lehrmeinung eine sogenannte Singularität - ein Schwarzes Loch - entstehen. Schwarze Löcher, die aus Sternen hervorgehen, haben allenfalls bis etwa hundert Sonnenmassen. Kommen sich Schwarze Löcher zu nahe, können sie miteinander zu noch gewaltigeren Schwarzen Löchern verschmelzen. Solche Objekte können durch Fusion mit weiteren Sternen noch erheblich anwachsen. Supermassive Schwarze Löcher erreichen unter Umständen Milliarden Sonnenmassen.

Doch bis zur Entdeckung des ersten Kandidaten für ein Schwarzes Loch im Jahre 1971 war das alles nur Theorie. Damals konnte man Cygnus X-1 anhand der Röntgenstrahlung identifizieren, die entsteht, wenn Materie, bevor sie vom Schwarzen Loch verschlungen wird, dieses rasend schnell umkreist. Das war erst möglich, als die Astronomen Observatorien in der Erdumlaufbahn nutzen konnten, da die Röntgenstrahlung nicht durch die Erdatmosphäre kommt.

Und auch bei dem Nachweis des Schwarzen Lochs inmitten der Milchstraße war modernste Beobachtungstechnik und viel Zeit vonnöten. Die Gruppe um Genzel nutzte das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte in Chile. Durch Zusammenschaltung der vier Acht-Meter-Teleskope und die Entwicklung von speziellen Infrarotsystemen konnte Genzels Team durch den Staub, der im sichtbaren Licht das Zentrum verdeckt, einen Stern beobachten, der ein Objekt namens Sagittarius A* in der vergleichsweise kurzen Zeit von 16 Jahren umkreist. Die starke Radioquelle war 1974 mit Hilfe eines Radioteleskops entdeckt worden. Aus den Bahndaten des umkreisenden Sterns konnten die Wissenschaftler auf Masse und Größe des dort verborgenen Objekts schließen. Das Objekt mit der Masse von vier Millionen Sonnen erreicht dabei nur einen mit der Umlaufbahn unseres Planeten Merkur vergleichbaren Durchmesser.

Und obwohl dieses Massemonster weithin alles an sich zieht, wird es von Sternen umkreist. Um nicht im Schwarzen Loch zu verschwinden, müssen sie allerdings mit entsprechend hoher Geschwindigkeit kreisen, so dass die Zentrifugalkraft die Anziehung des Schwarzen Lochs kompensiert, erläutert der Astrophysiker Lutz Wisotzki vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP).

Genzel hatte die Ehrung nicht mehr erwartet, da er bereits 2012 von der Schwedischen Akademie den Crafoord-Preis für Astronomie bekommen hatte. Er sieht den Nobelpreis auch als Auszeichnung für die Max-Planck-Gesellschaft »und eine gebührende Ehre für das ganze Team«. Bei einer Pressekonferenz in München hob Genzel die Vorzüge der europäischen Forschungslandschaft in der Astronomie hervor. Man habe mit der Max-Planck-Gesellschaft und der Europäischen Südsternwarte (ESO) eine verlässliche Finanzierung für solche Langzeitbeobachtungen. In den USA sei die Wissenschaftsfinanzierung »hochkapitalistisch« und schwanke extrem. Genzel kennt die Situation aus eigener Erfahrung, er arbeitete nach der Promotion in den USA erst in Harvard, dann in Berkeley. Doch die »paradiesischen Möglichkeiten der Max-Planck-Gesellschaft« hätten ihn dann doch bewogen, 1986 das Angebot anzunehmen, Direktor am Max-Planck-Institut für Extraterrestische Physik in Garching zu werden, bekannte er 2012 gegenüber der »Süddeutschen Zeitung«.

Seine US-Kollegin Ghez nutzt für ihre Forschung das aus zwei Zehn-Meter-Teleskopen bestehende Keck-Observatorium auf Hawaii. Auf die Frage nach eventuellen Rivalitäten bekannte ihr Garchinger Kollege, dass er nun, da beide gleichrangig mit dem Nobelpreis geehrt worden seien, doch gut zusammenarbeiten könnte.

Gute Voraussetzungen dazu gebe es. Immerhin plane die ESO nicht nur eine Aufrüstung des existierenden VLT in Chile, die dessen Auflösung hundertfach verbessern werde. Inzwischen hat dort auch der Bau des Extremely Large Telescope begonnen, bei dem die ESO federführend ist. Mit dessen 39-Meter-Spiegel würde zwar die Auflösung des VLT in der Zusammenschaltung aller vier Teleskope nicht übertroffen, dafür sei aber wegen der größeren Fläche des Hauptspiegels die Lichtempfindlichkeit weit höher.

Lange hypothetisch

Der 89 Jahre alte Physik-Nobelpreisträger Roger Penrose hat nicht mehr damit gerechnet, die hohe Auszeichnung noch zu bekommen. »Das ist wirklich eine große Ehre«, sagte der britische Wissenschaftler am Dienstag in einer Online-Pressekonferenz. Ärgert er sich, dass er die Auszeichnung so spät bekommen hat? »Nein. Es wäre viel schlechter, den Nobelpreis zu früh zu bekommen.«

»Es hat lange gedauert, bis die Leute die Existenz von Schwarzen Löchern akzeptiert haben«, sagte Penrose, der auch mit dem Astrophysiker Stephen Hawking zusammengearbeitet hat. Die Forschung in diesem Bereich sei aber noch längst nicht zu Ende. »Da wird noch viel kommen«, sagte er in seinem Arbeitszimmer zu Hause in Oxford.

Bei einer Expertenrunde der Deutschen Physikalischen Gesellschaft im Vorfeld der Bekanntgabe der diesjährigen Preise wurde auch spekuliert, dass das Team des sogenannten Event Horizon Telescope (EHT), einer Zusammenschaltung von Radioteleskopen rund um den Erdball für sein Bild des Schwarzen Lochs in der Galaxie M87 geehrt werden könnte. Insofern ist in diesem Jahr womöglich nicht der letzte Nobelpreis zu den Schwarzen Löchern vergeben worden.

Denn auch das EHT hat eigentlich Sagittarius A* im Visier. Doch die für dieses Jahr erwarteten ersten Beobachtungsergebnisse blieben aus, da ein Teil der beteiligten Observatorien coronabedingt pausieren musste. Dank der Ergebnisse von Genzel und Ghez ist inzwischen die Masse des Objekts und sein Abstand zum galaktischen Zentrum so genau bekannt, dass eine Vermessung des Schattens des Schwarzen Lochs nach Ansicht von Genzel eine »hochpräzise Bestätigung« von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie liefern würde.

Wobei auch das EHT kein Bild eines Schwarzen Lochs liefern kann. Es zeigt lediglich das Geschehen am Ereignishorizont (Event Horizon) des Schwarzen Lochs. Als Ereignishorizont bezeichnet man jene Grenzfläche in der Raumzeit, jenseits derer prinzipiell nichts mehr sichtbar für einen außerhalb stehenden Beobachter ist.

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