Roter Teppich für Investoren

Proteste gegen Einschränkung von Arbeiterrechte und Umweltkontrollen in Indonesien

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Land in Aufruhr: So zumindest lässt sich die Situation beschreiben, auch wenn es schwer fällt, belastbare Zahlen zu den Beteiligten an den unzähligen Einzelaktionen zu verifizieren, die den südostasiatischen Inselstaat Indonesien seit der Verabschiedung des Gesetzeswerkes im Parlament am 12. Oktober erschüttern. Das breite zivilgesellschaftliche Bündnis hinter den Protesten, das von den Gewerkschaftsverbänden angeführt wird, sprach von mindestens einer Million Menschen, die an den drei Aktionstagen zwischen Dienstag und Donnerstag täglich bei Arbeitsniederlegungen, Kundgebungen und Demos dabei waren. Die Sicherheitskräfte und andere staatliche Stellen sind eher bemüht, diese Schätzungen kleinzureden. Kaum leugnen lässt sich die geografische Breite, die sich von Banda Aceh, Hauptstadt der semiautonomen Provinz Aceh an der Spitze der westlichen Hauptinsel Sumatra über das besonders dicht bevölkerte Java unter anderem mit der Hauptstadt Jakarta und anderen Metropolen bis nach Papua ganz im Osten über die gesamte Ausdehnung des Archipels erstreckt. Die Massenproteste fallen in eine Zeit, da auch der bevölkerungsreichste islamische Staat auf dem Erdball schwer von der Corona-Pandemie betroffen ist.

Gerade im politischen Zentrum und größten urbanen Ballungsraum Jakarta, wo es allein bald 100 000 Infizierte und damit ein Drittel aller Fälle landesweit gibt, ließen sich die Kritiker*innen der Reform auch durch geltende Einschränkungen nicht daran hindern, ihren Widerstand auf die Straße zu tragen. Schon am Mittwoch gab es erste Ausschreitungen, eine weitere Eskalationsstufe folgte am Donnerstag, als die Polizei im Regierungsviertel nach dem Durchbrechen einer Barrikade Tränengas abfeuerte. Nach unterschiedlichen Angaben sollen 400 bis 600 Protestierende verhaftet worden sein.

Die Neuerung, gegen die sich die Massenproteste richten, besteht nicht aus einem einzigen Gesetz. Vielmehr ist das sogenannte »omnibus law« in seiner Gesamtheit stolze 905 Seiten stark. Behandelt werden dabei über 70 Vorschriften, wo es in 1200 Passagen mal nur kleinere, mal markante Änderungen gibt. Zusammengenommen handelt es sich um eines der umfassendsten Reformvorhaben, mit dem die Regierung von Präsident Joko »Jokowi« Widodo nach eigenem Bekunden Investitionsvorhaben durch Bürokratieabbau erleichtern und so dringend benötigte Arbeitsplätze schaffen will.

Unstrittig ist, dass allein jedes Jahr weitere zwei Millionen junge Leute nach Schule, Ausbildung oder Studium zusätzlich auf den Arbeitsmarkt drängen, für die es nicht ansatzweise ausreichend Stellenangebote gibt. Die kritische Front von mehr als 100 Nichtregierungsorganisationen - Gewerkschaften, Umweltverbände, Menschenrechtsgruppen, Frauenbünde - wollen dieses aus ihrer Sicht vorgeschobene Argument aber nicht als Rechtfertigung für den massiven Abbau hart erkämpfter Rechte zum Schutz der Beschäftigten oder auch intensiver Prüfungen von Investmentvorhaben zu ökologischen Risiken und Schäden hinnehmen.

Gerade wegen der Komplexität der Änderungen ist es schwer, Gerüchte und harte Fakten zu den einzelnen Aspekten zu trennen. Kein Außenstehender hat wohl das Konvolut bisher in Gänze gelesen, vermutlich nicht einmal die Parlamentarier, die darüber abstimmten. Auf einer Pressekonferenz zu Wochenmitte versuchte Airlangga Hartarto, als koordinierender Minister für Wirtschaftsfragen eines der Schwergewichte in Widodos Kabinett, abzuwiegeln. So sei beispielsweise die Sorge vor Einkommenseinbußen unbegründet.

Die Reformgegner sehen das anders, verweisen auf Abschaffung regionaler Mindestlohnvorgaben. Auch gegen den Wegfall von Menstruationsfreistellungen für Frauen und bei Schwangerschaften/Mutterschutz sowie eine »Flexibilisierung« von Arbeitszeiten wird protestiert. Was regierungsseitig als »Jobschaffungsgesetz« apostrophiert werde, sei in Wahrheit ein Abbau von Rechten, um Investoren den roten Teppich auszurollen und Unternehmerprofite zu maximieren. Erwogen wird eine Klage vor dem Verfassungsgericht, und noch hält sich die Hoffnung, der Präsident könnte in letzter Minute seine Unterschrift unter dem Gesetz verweigern.

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