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  • Politik
  • Rechtsextremismus in der Polizei

Stahlknechts Selbstverteidigung

Innenminister von Sachsen-Anhalt will nach Antisemitismus-Vorfall nun doch eine Polizei-Studie

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Holger Stahlknecht wirkte angespannt, als er am Montagnachmittag vor die Presse trat. Der Innenminister von Sachsen-Anhalt nahm noch einen Schluck Wasser, wohl wissend, dass er sogleich Unangenehmes zu verkünden hatte. Vor ihm auf dem Tisch: der Ausdruck einer E-Mail, die Stahlknecht nach eigener Aussage am vergangenen Freitag gegen 9:30 Uhr empfangen hatte. Am 9. Oktober also, dem Jahrestag des Halle-Anschlags. Ausgerechnet.

Der Inhalt der Mail: ein abermaliger Antisemitismus-Vorwurf gegenüber der Polizei. Diesmal, und das machte die Sache besonders, offenbar aus den eigenen Reihen. Aus den Reihen der Polizei selbst.

Der Minister legte sich das Papier akkurat zurecht, verschränkte die Arme und las vor: »Da momentan über Herrn Innenminister debattiert wird, möchte ich zusätzlich noch etwas loswerden«, zitierte er den anonymen Verfasser. Demnach sei in der Bereitschaftspolizei Magdeburg der dortige Imbiss »stets« als »Jude« bezeichnet worden. Die komplette Dienstelle habe diesen Umstand gekannt und nichts zur Unterbindung unternommen oder Strafverfahren eingeleitet. »Dieser institutionelle Antisemitismus muss aufhören«, heiße es in der Mail.

Nach ersten Ermittlungen hätten sich die Vorwürfe bestätigt, erklärte Stahlknecht. Der Inhalt der E-Mail erschüttert allein schon deshalb, weil der Verfasser offenbar auf einen seit Jahrzehnten anhaltenden Skandal aufmerksam macht. Das antisemitische Stereotyp gegenüber dem Imbiss bestehe schon seit den 90er Jahren, sagte Christiane Bergmann, die Abteilungsleiterin für Öffentliche Sicherheit und Ordnung im Innenministerium.

Stahlknecht sah sich genötigt, Antisemitismus in der Polizei nun doch umfassender als ursprünglich gewollt zu bekämpfen. Demnach habe das Land Sachsen-Anhalt nicht nur eine Sonderkommission eingerichtet, sondern werde sich auch an der niedersächsischen Studie zu extremistischen Einstellungen in der Polizei beteiligen. Eine bemerkenswerte Kehrtwende, hatte der Minister zuvor eine solche Studie doch stets abgelehnt mit der Begründung, in der Bevölkerung dürfe nicht der Eindruck entstehen, die Polizei sei rechtsextrem.

Ob nun diese Rolle rückwärts gelingt, wird sich jedoch erst zeigen. Denn Stahlknecht steht nach einigen Fehltritten auch selbst in der Kritik. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, forderte jüngst seinen Rücktritt, nachdem Stahlknecht erklärt hatte, die zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden zum Schutz jüdischer Einrichtungen könnten dazu führen, dass die Polizei anderswo nicht rechtzeitig zur Stelle sei. Stahlknecht hatte sich daraufhin entschuldigt und betont, er sei missverstanden worden.

Stahlknecht war auch bereits Ende vergangenen Jahres wegen einer umstrittenen Personalie unter Druck geraten. Der Polizeigewerkschafter Rainer Wendt hatte ein Angebot aus der Landesregierung in Sachsen-Anhalt erhalten, Staatssekretär im Innenministerium zu werden. Nach Protesten, unter anderem von Politikern der SPD und der Grünen, wurde daraus jedoch nichts. Sie wiesen darauf hin, dass Wendt in den vergangenen Jahren unter anderem durch Ressentiments und Vorverurteilungen aufgefallen sei. Wendt ist ebenso wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zudem ein vehementer Gegner von kritischen Studien zur Polizei.

Nun wirkte Stahlknecht am Montag auf der Pressekonferenz sichtlich angezählt. Man merkte: Da saß ein Minister im Selbstverteidigungsmodus, der sich offenbar genötigt fühlte, nicht nur über den Vorfall, sondern auch über sich selbst zu sprechen. Einer, der seine Sätze mit »Wer mich kennt, der weiß ...« und »Meine Lebensmaxime ist ...« beginnt. »Ich stehe für liberale Freiheit, damit das deutlich ist. Ganz deutlich ist«, sagte Stahlknecht mit einem fast flehenden Unterton und versprach, die Vorwürfe »mit absoluter Härte und Transparenz« aufzuklären.

Dass es Stahlknecht tatsächlich ernst meint mit einer unabhängigen Aufklärung, darf jedoch weiterhin bezweifelt werden. So verkündete der Minister zwar die Einsetzung eines sogenannten Extremismusbeauftragten, ein Novum in der Geschichte Sachsen-Anhalts; jedoch besetzte er die neu geschaffene Stelle nicht etwa mit einer unabhängigen Person, sondern mit einem der Seinen: Stefan Damke, Ministerialrat im Innenministerium, soll die Aufgabe übernehmen.

Den Grünen, die mit CDU und SPD die Landesregierung in Sachsen-Anhalt bilden, geht das nicht weit genug. Zwar seien die angekündigten Maßnahmen »ein erster Schritt in die richtige Richtung«, so der Grünen-Innenexperte und Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel in einer Pressemitteilung; zugleich erneuerte er jedoch die Forderung der Grünen nach einem unabhängigen Polizeibeauftragten.

Die oppositionelle Linkspartei forderte erneut den Rücktritt von Stahlknecht. »Er hat als Innenminister versagt und ist wegen seiner Äußerungen zu Recht unter enormem Druck«, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Henriette Quade, gegenüber »nd« und warf Stahlknecht »Aktionismus« vor, um sich selbst zu retten. Quade kritisierte, dass »Extremismusbeauftragter« ein untauglicher Begriff sei, vielmehr zeige sich bei dem Vorfall der »Antisemitismus der Mitte«: »Wenn schon das Problem nicht beim Namen genannt wird, was ist dann von der Institution zu erwarten?« Zudem habe sie Fragen an die Sonderkommission: »Gab es denn wirklich seit den 90er Jahren keinen einzigen Polizisten, der mit irgendjemandem mal das Gespräch gesucht hat?«

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