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Miete verweigern, Kündigung ins Klo
Eine Berliner Gewerkschaft für Mieter will mit Streiks gegen Verdrängung vorgehen. Geht das überhaupt?
Gewerkschaft, das war einmal ein großes Wort, bevor es in den letzten Jahrzehnten zunehmend verblasste. Das lag nicht nur an der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Auch stellt sich für Arbeiter in Großstädten wie Berlin immer häufiger die Frage, was von erkämpften Lohnerhöhungen bleibt, wenn gleichzeitig die Mieten steigen. Im Schnitt haben sich letztere in den vergangenen Jahren in der Hauptstadt schneller erhöht als die Löhne. Wohnraum ist zu einem lukrativen Geschäftsfeld geworden. Wenn nun also die Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit nicht mehr nur durch die Betriebe verläuft, braucht es da nicht auch eine Gewerkschaft für Mieter?
Olga ist davon überzeugt. Sie ist Sprecherin der kürzlich in Berlin entstandenen Mieter:innengewerkschaft. Noch seien sie eine Initiative zur Gründung einer Gewerkschaft, betont sie. »Aber unser langfristiges Ziel ist es, ein kollektives Miet- und Mitbestimmungsrecht zu erkämpfen.« Die Initiative sieht es als Problem an, dass Mieter in den Auseinandersetzungen mit Vermietern oft alleine dastehen. Deshalb wollen sie für eine kollektive Vertretung von Mietern kämpfen. Analog zu den Tarifparteien im Arbeitsrecht soll die Gewerkschaft dann zum Verhandlungsgegenüber für Vermieter werden.
Die Idee ist nicht neu. Bekanntestes Beispiel ist Schweden. Seit mittlerweile über 100 Jahren gibt es dort die Mietergewerkschaft »Hyresgästföreningen«. Heute vertritt sie über 500 000 Haushalte. Statt über den Markt werden die Mieten bei den schwedischen Gewerkschaftsmitgliedern über Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaft und Vermieter bestimmt. In Deutschland hingegen werden die Interessen der Mieter traditionell durch die Mietervereine vertreten. Doch diese würden meist nur als »Dienstleister« wahrgenommen, kritisiert Tarabota. Mit ihrer Beratung und Rechtsschutzversicherung helfen sie vor allem im individuellen Fall, eine Kollektivierung der Kämpfe findet nicht statt.
Auch bei den klassischen Gewerkschaften gibt es bisher keine Bestrebungen, die Arbeit auf die Wohnungsfrage auszuweiten. So erkennt man bei Verdi zwar an, dass das Geschäft mit dem Wohnraum eine starke Belastung für die größtenteils zur Miete wohnenden Arbeiter darstellt. Doch beim Thema Mietergewerkschaft zeigt sich Verdi-Sprecher Jan Jurczyk skeptisch: »Allein durch die Tatsache, dass man sich Gewerkschaft nennt, wird eine Mieterinitiative nicht die Durchsetzungsfähigkeit bekommen, wie sie die klassische Gewerkschaft bei der Interessenvertretung von Arbeitnehmern hat.« Jurczyk erinnert daran, dass die klassischen Gewerkschaften ein grundgesetzlich verankertes Recht genießen, sowohl Tarifverträge aushandeln zu können als auch Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks anzuwenden. Beides fehlt Mietern.
Sarah Bekker, Sprecherin der Freien Arbeiter Union (FAU) Berlin, sieht die fehlende Verrechtlichung deshalb als Herausforderung für eine Mietergewerkschaft an. Die FAU unterstützt das Anliegen der Gewerkschaftsinitiative. Die größte Hürde sieht sie darin, »die Vermieter*innen auch ohne eigenes Tarifvertragsgesetz und einen eindeutigen Schutz durch das Grundgesetz dazu zu zwingen, ihre Forderungen anzunehmen«, so Bekker.
Olga schreckt das nicht ab. »Auch zu Beginn der Arbeiterbewegung waren Streiks nicht verrechtlicht, genauso muss der Mietstreik und die Tarifautonomie für die Mieter:innengewerkschaft erst noch erkämpft werden«, sagt sie. Um das zu erreichen, will die Gewerkschaft erst einmal wachsen. Eine Art Förderation wollen sie werden für die verschiedenen stadtpolitischen Initiativen, die es in Berlin gibt. Denn es fehle momentan an einer langfristigen Struktur, in der Wissen weitergegeben und Kämpfe gemeinsam organisiert würden, erklärt sie. »Erst, wenn wir zahlenmäßig stark genug sind, macht es Sinn, wenn entlang von Eigentümerstrukturen zum Streik aufgerufen wird.« Also zum Beispiel, dass die Mieter der Deutsche Wohnen kollektiv die Mietzahlung verweigern.
Vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Verwerfungen hat die Idee eines Mietstreiks immer wieder Konjunktur: Etwa nach dem Ersten Weltkrieg infolge der in Deutschland rasant steigenden Inflation oder Anfang der 1930er Jahre im Zuge der Weltwirtschaftskrise. Auch dieses Jahr, als viele Arbeiter durch die Coronakrise ihre Jobs verloren oder in Kurzarbeit mussten, warb die Initiative »Wir zahlen nicht« für einen Mietstreik. Zumindest bis Ende Juni waren Mieter abgesichert. Wer coronabedingt die Miete für die Monate April bis Juni nicht zahlen konnte, dem durfte nicht gekündigt werden. Allerdings ist die Miete nur gestundet. Sie muss plus hoher Zinsen bis Ende Juni 2022 ausgeglichen werden. Normalerweise kann ein Vermieter kündigen, sobald zwei Monate Mietrückstand auflaufen.
Doch auch ohne so eine Kündigungsschutzregelung sei ein Mietstreik möglich, glaubt Olga. Wenn sich viele daran beteiligen würden, könnte ihnen nicht so einfach gekündigt werden, so die Rechnung der Aktivistin.
Der Mieteranwalt Benjamin Raabe hat da Vorbehalte. Er weist darauf hin, dass Miet- und Arbeitsstreik nicht vergleichbar sind. Beim Lohnausfall streikender Arbeiter springt die Streikkasse der Gewerkschaft ein. Mit einer Gewerkschaft, die für die Mietzahlungen aufkommt, würde das Ziel eines Streiks hingegen verfehlt werden, erklärt Raabe. »Wenn die Gewerkschaft allerdings nicht für die Mietzahlungen einspringt, müsste sie Ersatzwohnungen bereitstellen können.« Denn für den Anwalt ist klar, dass es ohne Kündigungsschutz für streikende Mieter immer welche geben würde, die bei Nicht-Zahlung von ihren Vermietern auf die Straße gesetzt werden würden.
Auch grundsätzlich sieht Raabe die Idee von Tarifverhandlungen zwischen Vermietern und Mietergewerkschaft kritisch. »Was nützt ein Tarifmietvertrag über einen Quadratmeterpreis von zehn Euro, wenn der Mietspiegel die Miete auf acht Euro begrenzt?«, fragt er. Ob die Gewerkschaft Mieten unterhalb der Begrenzungen des Mietspiegels verhandeln könne, sei für ihn fraglich. »Eine Gewerkschaft könnte auch nicht so ein weitreichendes Gesetz wie den Mietendeckel durchsetzen. Der Staat ist hier der stärkere Akteur gegenüber den Interessen der Vermieter«, glaubt Raabe.
»Wir sind der Auffassung, dass es nicht ausreicht, nur an den Staat zu appellieren«, erwidert Olga. Eine Ansicht, der vermutlich nicht wenige Mietaktivisten zustimmen würden. Gerade mit den Räumungen linker Szeneobjekte wie der »Liebig34« am vergangenen Wochenende und dem Engagement des Senats für die Hochhauspläne des Signa-Konzerns (»nd« berichtete) ist der Unmut über die Linke als Regierungspartei gewachsen. Deren Wohnungspolitikerin Gaby Gottwald weist darauf hin, dass eine Mietergewerkschaft eine sinnvolle Ergänzung zum parlamentarischen Einsatz für Mieter sein könnte. Zwar müsse das Ziel zunächst sein, das Mietrecht auf Bundesebene zu verbessern. Doch eine Gewerkschaft, die - so wie es sich Olga vorstellt - Kämpfe bündelt und neue Formen von Widerständigkeit entfaltet, könne dabei hilfreich sein, meint Gottwald. »Gewerkschaften können Politik nicht ersetzen, sie können ihr aber Beine machen.«
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