Annäherung an ein Experiment

Obwohl das Thema in ihren Parteien umstritten ist, werben einige Politiker nach wie vor für eine rot-rot-grüne Option auf Bundesebene.

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 6 Min.

Als es noch sommerlich warm war, trafen sich Politiker von SPD, Linkspartei und Grünen an einem Septemberabend in einem Berliner Lokal. Damit die Abstände laut Corona-Regeln eingehalten werden konnten, fand die Veranstaltung in kleinem Rahmen statt. Manche sind erst seit Kurzem bei diesen Treffen dabei, andere schon seit rund zwölf Jahren. Einer von ihnen ist der nordrhein-westfälische SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe. »Wir wollen Lust auf Rot-Rot-Grün machen und offensiv für diese Option werben, anstatt verschämt mit dem Thema umzugehen«, sagt er dem »nd«. Schwabe organisiert für die SPD-Denkfabrik die rot-rot-grünen Gespräche. Zwar gab und gibt es eine Reihe von Mitte-links-Koalitionen in den Bundesländern, aber auf Bundesebene fanden nach den Wahlen nicht einmal Sondierungsgespräche statt, obwohl Rot-Rot-Grün beispielsweise 2013 zumindest rechnerisch die Mehrheit hatte. Die SPD wählte damals den Weg in die Große Koalition.

Inzwischen hat sich bei den Sozialdemokraten einiges verändert. Sie haben mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ein linkes Vorsitzendenduo, das von Stellvertreter Kevin Kühnert, dem scheidenden Juso-Vorsitzenden, unterstützt wird. »Es gibt in der SPD keinen Flügel mehr, der eine rot-rot-grüne Kooperation im Bund offen ablehnt«, sagt Schwabe. Das führt er auch auf die jahrelangen Gespräche zwischen Bundestagsabgeordneten und weiteren Funktionären der drei Parteien zurück. »Wir haben hier Pionierarbeit geleistet.«

Früher nannte sich die Runde »Oslo-Gruppe«, weil damals in Norwegen Sozialdemokraten, Linkspartei und Grüne zusammen regierten. Heute wird öfter das Kürzel »R2G« (zweimal Rot, einmal Grün) benutzt. Ziel der Gespräche war und ist es, gegenseitiges Verständnis füreinander zu entwickeln. Schwabe erinnert daran, dass viele Mitglieder der Gruppe inzwischen in hohen Positionen sind. Das gilt zum Beispiel für den Grünen-Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Jan Korte, der Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion ist. »Wenn wir grundlegende Dinge in der Gesellschaft verändern wollen, dann geht das nur in einer Konstellation jenseits der Union«, so Schwabe.

Entscheidend ist, ob die Parteien auch inhaltlich zusammenfinden. Die scheidenden Parteivorsitzenden der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, hatten im Frühjahr gemeinsam mit Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler und Schatzmeister Harald Wolf ein Papier vorgelegt, in dem es heißt: »Unser Konzept des sozial-ökologischen Umbaus ist ein politisches Angebot an Gewerkschaften, soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und natürlich auch an SPD und Grüne.« Bei den Beratungen im Parteivorstand wurden weite Passagen des Papiers begrüßt. Allerdings gibt es in der Linken auch Kritik an Passagen, in denen für Rot-Rot-Grün geworben wird.

Stefan Liebich, Berliner Bundestagabgeordneter der Linken und langjähriger Mitstreiter von Frank Schwabe für eine Mitte-links-Perspektive, sagt dem »nd«: »In der Linkspartei spüre ich keinen wirklichen Enthusiasmus für Rot-Rot-Grün.« Er wirft seinen Genossen vor, von Sozialdemokraten und Grünen zu verlangen, so wie die Linkspartei zu werden. »Das wird dann nichts«, so Liebich. Aus seiner Sicht müssten Partei und Bundestagsfraktion vier oder fünf zentrale Projekte definieren, ausarbeiten und vorschlagen, »die wir in einen Koalitionsvertrag einbringen und umsetzen wollen, die machbar sind, die links sind und die das Land verändern«.

Doch das geschieht bislang nicht. Gründe dafür gibt es viele. Liebich berichtet von einer »Grundstimmung bei uns und vielen anderen in der Republik, dass alles irgendwie auf Schwarz-Grün hinausläuft oder vielleicht noch auf eine Ampelkoalition«. Das dürfte auch an den bundesweiten Umfragen liegen. Während der Coronakrise hat vor allem die Union hinzugewonnen.

Im kommenden Jahr wird der Außenpolitiker Liebich nicht erneut für den Bundestag kandidieren. Frank Schwabe bedauert das. Er weiß, dass es nach wie vor Schwierigkeiten geben würde, die drei Parteien zusammenzubringen. »So manchem Außenpolitiker in der Linkspartei würden Entscheidungen von Rot-Rot-Grün nicht schmecken. Die Bundesrepublik wird nicht aus der Nato austreten, und nicht jedes Auslandsengagement der Bundeswehr wird beendet«, sagt Schwabe. Im Grunde humanitäre Missionen wie aus seiner Sicht im Sudan und Südsudan würden auch in keinem Fall zur Debatte stehen. »Aber es würden beispielsweise Restriktionen bei Waffenexporten kommen. Wir könnten uns darauf einigen, nicht mehr in die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten zu exportieren«, kündigt der Sozialdemokrat an.

Die Abgeordneten der Linksfraktion hatten bisher nahezu alle Auslandseinsätze der Bundeswehr geschlossen abgelehnt und erklärt, dass der Einsatz militärischer Mittel keinen Frieden schaffe. Allerdings hatten einige Parlamentarier auch angedeutet, dass sie hier durchaus gesprächsbereit seien. Die Linke werde die Frage von Auslandseinsätzen in einer Regierung »natürlich diskursiv behandeln«, hatte etwa Fraktionschef Dietmar Bartsch verkündet.

Sozialdemokraten und Linkspartei müssten sich auch mit den Grünen einigen. In der Vergangenheit hatten neben Parteilinken auch Politiker des Realo-Flügels wie Omid Nouripour und der einstige Parteichef Cem Özdemir an rot-rot-grünen Gesprächsrunden teilgenommen. Doch wirkliche Begeisterung kann Stefan Liebich bei den Grünen nicht erkennen. Bei ihnen gebe es eine interne Verabredung, sich nicht öffentlich zu Koalitionsoptionen zu äußern. Das gelte sowohl für Schwarz-Grün als auch für Rot-Rot-Grün. Die Partei will sich beide Optionen offenhalten.

Trotzdem gibt es nach wie vor vereinzelt Politiker der Grünen, die sich deutlich für eine Kooperation mit Sozialdemokraten und Linkspartei aussprechen. »Wir wissen nicht, wie die Mehrheiten nach der nächsten Bundestagswahl sind. Es ist aber gut, dass es seit Jahren vertrauensvolle Gesprächsrunden zwischen Bundestagsabgeordneten von R2G gibt«, sagt die sächsische Grünen-Bundestagsabgeordnete Monika Lazar dem »nd«. Genügend inhaltliche Schnittmengen zwischen den drei Parteien gebe es. »Wenn es nach der Bundestagswahl die rechnerische Möglichkeit für eine solche Koalition gibt, sollte sie dieses Mal auch genutzt werden. Ob die Inhalte und Vorhaben tragfähig sind, sollten dann ernsthafte Gespräche in Sondierungen zeigen«, so Lazar. Für die Grünen wäre diese Konstellation nach jetzigem Stand die einzige Möglichkeit, den Kanzler zu stellen. Sie könnten dabei im Bundestag auch auf Stimmen der SPD hoffen. »Natürlich wollen wir mit Olaf Scholz die Wahl gewinnen, aber ein Mitte-links-Bündnis darf nicht daran scheitern, wer den Kanzler stellt«, sagt Schwabe.

In Umfragen sieht es zwar derzeit nicht gut aus für eine solche Option, aber in dem Jahr bis zur Bundestagswahl kann noch viel passieren. Auch müssten SPD, Linkspartei und Grüne nicht unbedingt zusammen auf mehr als 50 Prozent der Stimmen kommen. Für eine Mehrheit könnte es auch reichen, wenn etwa die FDP, die derzeit nur knapp über fünf Prozent liegt, den Einzug in den Bundestag verpassen sollte und Rot-Rot-Grün stärker wäre als Union und AfD gemeinsam.

In den Führungsebenen der drei Parteien hat man die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es mit einer Kooperation funktionieren könnte. Kürzlich haben sich auch die Vorsitzenden der drei Mitte-links-Parteien getroffen. Nach diesen Treffen hatte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken gegenüber der »Rheinischen Post« erklärt, dass sie eine »Kooperationsregierung« nach der Bundestagswahl für denkbar halte, in der sich die regierenden Parteien auf einige Kernthemen verständigen und ansonsten wechselnde Mehrheiten suchen. Dann müsste die Linkspartei auch nicht ihre ablehnende Haltung gegenüber Auslandseinsätzen der Bundeswehr aufgeben. In der Führung der Linken will man hingegen nicht öffentlich über solche Modelle spekulieren.

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