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Angriff auf der Königsetappe
Jai Hindley siegt in Laghi di Cancano, Wilco Kelderman fährt ins Rosa Trikot
Das Wetter spielte perfekt mit auf der Königsetappe des Giro d’Italia. Die strahlende Sonne beschien am Donnerstag die weißen Berge rings um die Passstraße über das Stilfser Joch. Die Straße war geräumt, der Pass offen. Das stand vor dieser 18. Etappe durchaus in Frage, schon die 20. Etappe am kommenden Sonnabend wurde geändert: Der Colle dell’Agnello ist nicht befahrbar. Und den Zugang zum Col d’Izoard verbot die französische Regionalregierung aus Sorge vor Corona. Italiens Behörden mögen den Giro wegen seiner Ansammlung von Menschen ebenfalls mit Argwohn betrachten - gestattet werden die Durchfahrten aber doch.
Am Donnerstag jedenfalls stimmten alle Zutaten für ein großes Radsportspektakel. Die Straßen waren rosa geschmückt, ganz so, als möge diese Farbe des Frohsinns das Virus vertreiben. Auch Anfeuerungssprüche waren auf dem Asphalt zu lesen und zahlreiche Transparente zu sehen: »Forza, Squalo«, »Vorwärts, Hai«. Auf anderen waren aber auch Forderungen nach mehr Geld und mehr Personal für die lokalen Krankenhäuser zu lesen. Da war die Pandemie dann auch wieder ganz nah am Giro.
Für beide Forderungen sieht es aber nicht gut aus. Viele italienische Ärzte melden sich dieser Tage mit Klagen darüber, dass die Infrastruktur für die zweite Welle nicht adäquat verbessert wurde. Und Vincenzo Nibali, der angefeuerte »Hai von Messina«, konnte weder auf dieser Etappe noch beim gesamten Giro überhaupt Akzente setzen. Der fast 36-Jährige, der schon alle drei großen Rundfahrten gewonnen hat, hat jetzt einfach nicht mehr die Kraft, um mit den Jungen mitzuhalten. So kauften ihm beispielsweise die mehr als eine Dekade jüngeren Jai Hindley (24) und Tao Geoghegan Hart (25) den Schneid ab. Der 22-jährige Joao Almeida hatte ohnehin lange Zeit diese Italienrundfahrt geprägt - und als Debütant insgesamt 15 Rosa Trikots gesammelt.
Am Stilfser Joch kam das Radsportmärchen des jungen Portugiesen allerdings an ein Ende. In dieser Wintersportkulisse der schneebedeckten Berge holte das Team Sunweb den Hammer raus. Dem Angriff des deutschen Rennstalls hielt der bis dato gesamtführende Almeida nicht stand und fiel nach etwa einem Drittel des 24,7 Kilometer langen Anstiegs zurück.
Die Straße schien somit frei für das Sunweb-Duo Wilco Kelderman, zum Etappenstart Gesamtzweiter, und dem drittplatzierten Jai Hindley. Dann aber zeigte Team Ineos lange vermisste Qualitäten. Rohan Dennis drehte für seinen Teamkollegen Geoghegan Hart mächtig auf, Hindley und Kelderman konnten zunächst folgen. Dann aber ließ Kelderman, über zwei Rundfahrtwochen der Geheimfavorit bei diesem Giro, überraschend abreißen. Mit 43 Sekunden Rückstand auf das Trio erreichte er die Passhöhe. Zu diesem Zeitpunkt trug er recht eindeutig das virtuelle Rosa Trikot. Almeida hatte da fast drei Minuten auf ihn verloren. Und der Vorsprung auf Hindley und Geoghegan Hart betrug vor der Etappe mehr als zweieinhalb Minuten. Auf der Abfahrt machte Kelderman dann auch erst mal ein paar Sekunden gut. Auf dem Flachstück vor dem letzten Berg verlor er dann aber deutlich anZeit - auch wegen des Tempos, das der ehemalige Zeitfahrweltmeister Dennis vorn vorlegte.
Am Fuße des letzten Aufstiegs ließ sich Dennis zurückfallen. Der erschöpfte Kelderman musste die von hinten wieder herankommenden Jakob Fuglsang und Pello Bilbao an sich vorbeiziehen lassen: ein Moment der Hochspannung. Zwei Fahrerpaare - Geoghan Hart und Hindley sowie Bilbao und Fuglsang - sowie Soliste Kelderman lieferten sich ein Bergaufverfolgungsrennen. Die Etappe gewann am Ende Hindley im Zielsprint knapp vor Geoghan Hart. Kelderman wurde Fünfter und führt in der Gesamtwertung mit zwölf Sekunden vor seinem Teamkollegen Hindley und 15 Sekunden vor Geoghegan Hart. Alemeida erreichte abgeschlagen als Siebter und mit fast fünf Minuten Rückstand das Ziel.
Damit ist der Giro wieder offen, drei Fahrer können noch gewinnen. Die Entscheidung bringen die um 1500 auf etwa 4000 Höhenmeter reduzierte Bergetappe am Sonnabend nach Sestriere sowie das anschließende Zeitfahren am Schlusstag in Mailand. Das wird wohl ein Geisterrenen: Die Modestadt ist seit dieser Woche rote Coronazone.
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