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Gefangen im System der Double Binds
Eine Stoßrichtung des Hasses auf transidente Personen ist das Ausspielen von Frauen und Männern gegenüber Nichtbinären
Bis zu 10.000 Opfer: In etwa so viele transgeschlechtliche Menschen sind von 1981 bis 2011 zwangssterilisiert worden, weil sie einfach nur gültige Papiere haben wollten. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Darunter sind etliche, die diese Operation auch ohne Zwang durchgeführt hätten. Aber eben auch viele Männer, Frauen und Nichtbinäre, die mit der ursprünglichen Form ihrer Genitalien glücklicher gewesen wären. Oder gern eine Familie gegründet hätten. Sie mussten sich zum Wunsch nach Genital-OPs bekennen, um überhaupt Hormone, eine Brustentfernung und ihren eigenen Namen bekommen zu dürfen.
Die Linke will, dass sich der Staat bei diesen Menschen entschuldigt, das Verbrechen gegen sie anerkennt und sie finanziell entschädigt. Außerdem soll ein zuerst von den Grünen ins Rennen gebrachte Selbstbestimmungsgesetz die alte Politik maximaler Kontrolle gegenüber transgeschlechtlichen Menschen beenden. Die Geschichte des vom Bundesverfassungsgerichts weitestgehend zerpflückten, 1981 eingeführten Transsexuellengesetzes zeigt auch die krank machenden Doppelbotschaften, denen transgeschlechtliche Menschen ausgesetzt sind.
Ein Vorwurf, den sie sich heute wie damals auch aus progressiven oder sich feministisch wähnenden Kreisen anhören dürfen, ist der, Geschlechterstereotype zu verschärfen, statt sie aufzulösen. Dabei müssen die Menschen nicht nur ihr Umfeld, sondern auch das medizinische Personal davon überzeugen, dass sie unter dem Zwang stehen, sich dem Stereotyp eines »Gegengeschlechtes« gemäß zu geben. Tun sie dies nicht, werden sie für »nicht ausreichend trans« befunden. Dann weigert sich nicht nur das private und berufliche Umfeld, die richtigen Namen und Pronomen zu verwenden, sondern man bekommt auch von Therapeut*innen oder dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen keine Erlaubnis, Hormone zu nehmen, Operationen durchführen und sich rechtlich anerkennen zu lassen. »Trans genug« ist man, wenn man sich möglichst schutzlos dem Hohn seiner Mitmenschen aussetzt.
Eine Stoßrichtung des gegenwärtigen Hasses auf transidente Personen, die sich etwa auch im Handeln des Innenministeriums wiederfindet, ist das Ausspielen von Frauen und Männern gegenüber Nichtbinären. Es ist die Fortsetzung des alten Spielchens: Man soll sein Geschlecht anpassen dürfen, aber bitte nur, wenn mehrere »Profis« ein Auge darauf haben, dass am Ende eine veritable Frau oder ein richtiger Mann dabei herauskommt. Nichtbinäre gelten als die personifizierte Kontrolllosigkeit, die sich lieber Geschlechter ausdenken, als einfach »normal« zu sein. Dabei gibt es Zahlen, die besagen, dass ein Drittel aller Transgeschlechtlichen nichtbinär ist.
Wollen sie überhaupt Zugriff auf Hormone oder Operationen haben, mit denen sie in vielen Fällen ihr Leben retten, werden sie bis heute dazu gezwungen, so zu tun, als seien sie Männer oder Frauen. Viele glauben das sogar selbst, um ihre komplizierten Gefühle einer anerkannten Lebensform zuordnen zu können. Zu den ergriffenen Maßnahmen gehören auch die viel beschworenen, später bereuten OPs, bezahlt von der Gemeinschaft. Betroffene tragen psychische Langzeitfolgen davon.
Die staatliche Kontrolle, der sich Transpersonen auszuliefern haben, damit keiner »zu Unrecht« eine teure OP erhält, zeigt daher auch den ganzen Zynismus, mit dem gegen die Menschen vorgegangen wird: Nicht wenige sammeln im Laufe ihres Lebens Rechnungen für Therapien an, die die Kosten von Operationen weit übersteigen. Zunächst zwangsweise, um OPs zu kriegen - und dann auch noch »freiwillig«, etwa nach einer bereuten OP. Oder weil jemand viel zu lang erst den Jungen und dann die Frau gespielt hat, die von ihm verlangt wurde.
Eine der faszinierenden Eigenschaften des Populismus nicht nur von rechts ist es, Probleme zu erzeugen, die er dann laut brüllend bekämpfen kann, um eine dringend benötigte Illusion von Kontrolle aufrechtzuerhalten. Linke und Feministinnen sollten bei diesem Spielchen aus der Puppenkiste des autoritären Charakters nicht mitmachen.
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