Konkurrenz und Rücksicht

Best of Menschheit, Teil 43: Maskenpflicht

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Alles, was man über den Menschen wissen müsse, liege in der Erfindung des Motorradhelms, stellte der Komiker Jerry Seinfeld einmal fest. Der Mensch habe das Motorrad erfunden, merkte, das ist ganz schön gefährlich für den nicht gerade unwichtigen Menschenschädel - und statt die Tätigkeit des Motorradfahrens einfach einzustellen, bastelte der Mensch sich den zur Tätigkeit passenden Helm. Damit er weiter rasen kann.

In dieser Beobachtung liegt vermutlich einiges Wahres. Eine Spezies dürfte nur dazu fähig sein, den Rest der Natur hinter sich zu lassen und einen Planeten zu seinen Gunsten umzuformen, wenn noch die naheliegendste Todesgefahr nicht zum Einhalten führt. Dabei kann der Antrieb dieses Handelns aber kein rationaler Nutzen der Tätigkeit sein; er kann nur Lustbefriedigung sein. Wäre das Ziel rational, dann ließe man den gefährlichen Quatsch ja von vorne herein. Oder für Freidemokraten formuliert: Es gibt keine Leistungs- ohne Spaßgesellschaft.

Nun soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden, dass diese Gefahrensuche vor allem ein männliches Verhalten ist. Aber auch das erscheint konsequent: Sich aus den Zwängen der Natur zu befreien, ging wohl nur riskant und aggressiv. Es brauchte einen Teil der Spezies, der die Umwelt passend hackte und schlachtete; naheliegend dass es der war, dessen Körper nicht ressourcenreich den Nachwuchs produzieren muss. So erfolgreich war die Konstruktion eines dominanten Geschlechts, dass in zahlreichen der Menschensprachen, den längsten Gedächtnissen der Zivilisation, der Mensch im Plural gleich dem Mann ist. So erfolgreich war die Formung der Natur zu Kulturen (die sich darum einen Begriff von der Natur machen konnten), dass alle Unterschiede in binäre Simplizität gezwängt wurde.

So erfolgreich war die Dominanz des Männlichen auch, dass diese Todesverdrängung und -verachtung den Planeten mittlerweile zu Ungunsten des Homo sapiens umformt. Der Lustgewinn nutzloser Tätigkeiten wie Motorradfahren ist längst verbunden mit einem diffusen Begriff der Freiheit und Rebellion, der kollektiv vernünftigem Verhalten zuwiderlaufen muss.

Die männlich-menschliche Energie richtet sich bei fast allen autodestruktiven Tätigkeiten, erst recht bei denen, die CO2-reich verbrennen, nicht mehr auf die Entwicklung eines Schutzes, der weitermachen erlaubt; sie richtet sich gegen die Pflicht zum Selbstschutz.

Das bringt, weil sie die explizite Variante der Normalität ist, die akute Coronapandemie auch in Deutschland deutlich zum Vorschein. Zwar funktioniert so etwas wie eine Maskenpflicht in einer Gesellschaft in der Mehrheit gut, die mit viel Aufwand Helme und Gurte zur durchaus respektierten Pflicht machen konnte, die die kollektive Sucht des Zigarettenrauchens auch gegen Widerstände ein wenig einzudämmen vermochte (auch wenn sie das nicht zwingend aus besten Motiven, eher aus Kostengründen getan hatte). Doch steht solche Rücksicht auf sich und andere in Konkurrenz zum Kern des kapitalistischen Lebens.

In Konkurrenz zu anderen seinen Vorteil zu suchen, dabei auch den Körper nicht zu schonen, auf dass eine magische Hand an alle verteilt, was man jeweils verdient - das ist alles, was diese Ordnung an Gerechtigkeit anbieten möchte.

Die, die gegen eine Maskenpflicht rebellieren, also sowohl die Extremisten auf der Straße als auch die vielen rechtsliberalen Quasselstrippen der herrschenden Meinung und ihre parlamentarischen Freunde, verstehen oder akzeptieren nicht, warum diese Erzählung nicht mehr gelten soll, nur weil viele Leute sterben könnten, die der Gesellschaft ohne Corona praktisch auch nichts wert waren.

Will sagen: Die Maskenpflicht ist so wie die Helm- und andere Schutzpflichten über den konkreten gesundheitlichen Nutzen eine Errungenschaft, weil eine Erinnerung daran, dass es auch in einer Ordnung der geförderten Rücksichtslosigkeit funktionierende Solidarität geben kann.

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