Für ein Königreich Gottes

Mit Amy Coney Barrett wird eine christliche Fundamentalistin Richterin am Supreme Court in den USA

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass US-Präsident Donald Trump am 3. November die Wahlen verliert und die Republikanerpartei dabei mitnimmt, gilt bei Konservativen in Washington - meist hinter dem Rücken ausgesprochen - einigermaßen als Gewissheit. Doch der Schmerz darüber wird sich in Grenzen halten. Denn Amy Coney Barrett wird das Kräfteverhältnis im Obersten Gericht deutlich nach rechts verschieben, und das über Generationen hinweg.

Die Bestätigung der 48-Jährigen, die damit die Jüngste am Supreme Court ist, hatte nach dem Tod der liberalen Ikone Ruth Bader Ginsberg am 28. September für die Ultrakonservativen im US-Senat Vorrang. Dabei verstießen sie gegen sämtliche Gepflogenheiten, dem lautstarken Protest und Boykotten der Demokraten zum Trotz. Um Barrett unbedingt vor den Wahlen ins höchste Richteramt durchzuwinken, verkürzte beispielsweise der Fraktionschef der Senats-Republikaner Mitch McConnell die Anhörungszeit und verordnete den Senatoren die Arbeit in der US-Hauptstadt übers Wochenende. Der Chef des Justizausschusses, der Republikaner-Senator Lindsay Graham, verstieß sogar gegen die Ausschussregeln und legte das Abstimmungsdatum fest, ohne dass die notwendige Zahl von Demokraten im Raum gewesen wäre. Deren Boykott blieb damit symbolisch.

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Amy Coney Barrett als dritte rechte, von Trump nominierte und schließlich gewählte Richterin im Obersten Gericht ist das erfolgreiche Ergebnis jahrzehntelanger reaktionärer Bemühungen. Rechtsreligiöse Extremisten formierten sich Ende der 1970er Jahre zu einer Gegenreformbewegung. Wenige Jahre später fanden sie in den höchsten Rängen der Regierung Ronald Reagans erste mächtige politische Verbündete, obwohl ihnen der Durchbruch damals noch versagt blieb.

Die Bewegung war eine Reaktion auf die juristischen Fortschritte der Bürger- und Schwarzenrechtsbewegungen der American Civil Liberties Union und der NAACP. Hinter den reaktionären Klagen über den »Zerfall der Familie« und die »Erosion christlicher Werte«, vor allem aber hinter der monierten »Unterdrückung der Religion durch den Staat« lag der Rassismus. Was die Bewegung wirklich störte, war das gesetzlich verordnete Segregationsverbot, das die Trennung nach Hautfarbe auch an christlichen Schulen beenden sollte.

Maßgeblich finanziert wurde die »christliche Juristenbewegung«, wie sie sich selbst gerne nennt, von dem rechten, libertären Anti-Regulations-Milliardär Charles Koch. Er versucht seit den 1970er Jahren, US-weite Institutionen, die wirtschaftliche Interessen gesetzlich zu regeln versuchen, aufzuweichen und letztendlich abzuschaffen. Dafür können seinem Kalkül zufolge nur regulationsfeindliche Juristen sorgen.

Seit vielen Jahren existieren entsprechende juristische Kaderschmieden, etwa die »Alliance Defending Freedom«. Von der Nichtregierungsorganisation, deren Finanzierung kaum nachvollziehbar ist, werden christlich orientierte Juristen ausgebildet, »um Justizsysteme zu stärken, die unsere gottgegebenen Rechte vollumfänglich schützen«, wie es in der Selbstdarstellung heißt. Auch Amy Coney Barrett durchlief das von der Organisation vor 20 Jahren ins etablierte »Blackstone«-Stipendienprogramm.

Im Vordergrund stehen das Motto »religiöse Freiheit« und entsprechende Gerichtsurteile. Gegenüber der »religiösen Freiheit« müssen dem erklärten Ziel der Bewegung zufolge im Zweifelsfall alle anderen Rechte zurückstehen, zum Beispiel das Recht auf Abtreibung, das Recht auf Eheschließung von gleichgeschlechtlichen Partnern oder die unter Präsident Barak Obama verabschiedete Gesundheitsreform.

Barrett und ihr Ehemann sind Mitglieder der christlich-fundamentalistischen Sekte »People of Praise« aus South Bend im Bundesstaat Indiana. Recherchen der »Washington Post« zufolge verpflichten sich ihre Mitglieder per Treueeid, der Organisation und ihren Mitgliedern gegenüber lebenslang treu zu sein. Teil des Schwurs ist die übergeordnete Position von Männern gegenüber Frauen, die sich jenen unterzuordnen haben. Laut der Zeitung, die Dokumente der Gruppe aus dem Jahr 2010 einsehen konnte, werden die männlichen Mitglieder in die Kategorie »Köpfe« eingeteilt, während die Frauen unter die Kategorie »handmaid« (Magd) fallen. Auch Barrett soll eine »Magd« gewesen sein, als sie während ihres Studiums im Haus des Sektengründers lebte. Mit dem Verweis auf die Wahrung der Privatsphäre und auf religiöse Freiheit wurden weitere Recherchen abgeblockt. Sowohl die Sekte selbst, Bekannte und Familienangehörige von Barrett als auch das Weiße Haus verweigerten Stellungnahmen.

Selbst die Demokraten nahmen bei den Anhörungen im Kongress darauf Rücksicht. Fragen zu ihrer religiösen Zugehörigkeit stellten sie erst gar nicht. Ausschließlich die »dienstlichen Argumente gegen sie« seien von Interesse, erklärte der Demokrat Richard Blumenthal. Schon nach ihrer Nominierung zur Bundesrichterin 2017 verschwanden Informationen. Die Sekte nahm beispielsweise Bilder ihrer Familie von der Webseite.

Bei den Senatsanhörungen war Barrett sämtlichen kritischen Fragen ausgewichen. Auf die Klimakatastrophe angesprochen, bezeichnete sie diese als »Meinung«, nicht als Tatsache.

Bei einer Abschlussfeier an der Jura-Universität Notre Dame Law School 2006 hatte Barrett die Hauptrede gehalten. Eine christliche Richter- und Anwaltskarriere sei »nichts anderes als das Mittel zum Zweck«, betonte sie gegenüber den Absolventen, »und das Ziel besteht in der Errichtung von Gottes Königreich«.

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