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Bonuslose Ungerechtigkeit
Hauptstadtzulage im öffentlichen Dienst sorgt für Protest und Ausschluss Berlins aus der Tarifgemeinschaft
Die Stimmung vor dem Roten Rathaus am Dienstagmorgen ist angespannt. »Schämen Sie sich!«, ruft eine ältere Frau den Abgeordneten der rot-rot-grünen Regierung hinterher. Die Fraktionschefs Silke Gebel (Grüne), Carsten Schatz (Linke) und Raed Saleh (SPD) tragen gerade jeder eine Kiste mit einem Teil der insgesamt 50 000 Postkarten, die Hort- und Kita-Mitarbeiter*innen an die Fraktionen der Koalition im Abgeordnetenhaus geschrieben haben, Richtung Seiteneingang. Übergeben hat sie ihnen kurz zuvor Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.
Mit Schlimper sind etwa 120 Beschäftigte vor den Regierungssitz gekommen, wo sie mit Rasseln und lautem Scheppern gegen Töpfe ihrem Ärger Luft machen. Sie fordern, stellvertretendend für Tausende Kolleg*innen, dass die jüngst beschlossene Hauptstadtzulage für alle gilt, die im sozialen Bereich tätig sind. Bisher können sich nur 124 000 Landesbeschäftigte auf die Zulage ab 1. November freuen - es gibt sie bis zu einem Monatsverdienst von 5000 Euro. »Die Entscheidung des Landes Berlin, lediglich den Beschäftigten des Landes und der landeseigenen Betriebe diese Zulage zu zahlen, benachteiligt die freien gemeinnützigen Träger und die dort beschäftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine genauso hervorragende Arbeit leisten«, erklärt Schlimper. Diese Ungleichbehandlung werde man nicht hinnehmen.
Mehr als 80 Prozent der Berliner Beschäftigten in Kitas, Hort und Schulen sind bei freien gemeinnützigen Trägern angestellt. Dabei handelt es sich um rund 32 000 Menschen. Auch in der Jugendhilfe, im Bereich der Betreuung von behinderten Menschen oder der Hilfe für obdachlose Menschen sind die meisten Mitarbeiter*innen bei Sozialverbänden wie dem Paritätischen, der Lebenshilfe oder Aspe. Viele bilden angesichts des Fachkräftemangels auch verstärkt aus. »Die freien Träger haben dafür schon vor Jahren Geld in die Hand genommen, da haben die landeseigenen Betriebe noch erklärt, sie hätten keine Personalnot«, heißt es auf der Kundgebung. Dass trotzdem nur Landesbedienstete 150 Euro mehr im Monat erhalten sollen, sorgt für Enttäuschung. »Dass die Linken und die Grünen da mitmachen, hätte ich nicht gedacht«, sagt eine Erziehungswissenschaftlerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, dem »nd«.
Die Fraktionsvorsitzenden Schatz, Gebel und Saleh haben für die Beschäftigten an diesem Tag kein Wort übrig. Anika Bienert, Vizeleiterin einer Kita des Vereins Mittelhof in Zehlendorf, führt das auch auf die geringe Protestbeteiligung zurück. »Wir werden doch gar nicht wahrgenommen, wenn wir mit so wenigen Leuten kommen«, sagt die 36-Jährige. Aber die meisten Beschäftigten seien viel zu verantwortungsbewusst, um ihren Arbeitsplatz zu verlassen, meint die Erzieherin, die selbst Mutter von drei Kindern ist. »Wenn alle sich trauen würden, wären wir eigentlich viel mehr«, ist sich Bienert sicher.
In ihren Augen verzerrt die Hauptstadtzulage den Wettbewerb und benachteiligt die freien Träger: »Als Erzieherin kann ich mir angesichts des Personalmangels doch aussuchen, wo ich arbeite.« Ums Geld gehe es ihr nicht, beteuert sie, aber gerecht müsse es sein. Gerade jetzt, wo die Coronakrise an den Kräften zehre. »Viele von uns sind psychisch sehr belastet«, erklärt die junge Frau. Kaum jemand habe die Ressourcen, um solche Aktionen zu organisieren. »Ich mache so etwas dann am Abend«, erklärt sie.
»In unserer rechtlichen Bewertung stellt die Hauptstadtzulage eine Diskriminierung der freien Träger der Jugendhilfe und ihrer Erzieherinnen und Erzieher dar, gegen die wir mit anderen Wohlfahrtsorganisationen gerichtlich vorgehen werden«, teilt am Dienstag auch Alexander Slotty, Landesgeschäftsführer der Volkssolidarität mit. Der Senat verschaffe sich durch die Zulage einen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt bei der Gewinnung von Fachkräften, so Slotty weiter.
Die Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) hatte die Hauptstadtzulage bereits am Montag scharf missbilligt. Sie beschloss, dass Berlin die TdL verlassen muss, wenn die Abweichung nicht rückgängig gemacht wird. Sollte Rot-Rot-Grün die Zulage über die Befristung bis zum 31. Oktober 2025 hinaus fortzahlen oder erneut gegen die Satzung der TdL verstoßen, muss Berlin die Tarifgemeinschaft endgültig verlassen. Bis dahin muss das Land sein Stimmrecht in der TdL ruhen lassen.
Der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU), der derzeit der TdL vorsitzt, bezeichnete den Ausschluss Berlins als »starkes Signal für den Zusammenhalt der TdL«. Verstöße gegen deren Satzung würden nicht ungestraft hingenommen, so Hilbers. Man habe Berlin die gelbe Karte gezeigt. Sollten die beschlossenen Bedingungen nicht eingehalten werden, folge »unweigerlich automatisch Gelb-Rot!«, so Hilbers. Der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) legte daraufhin sein Amt als erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Vorstandes der TdL mit sofortiger Wirkung nieder. Kollatz war seit dem 15. Juni 2016 Mitglied des TdL-Vorstandes. Als seinen Nachfolger hat die Mitgliederversammlung den Finanzsenator Hamburgs, Andreas Dressel (SPD), gewählt.
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