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Unter Schleimjunkies
Die Horrorserie »Hausen« verlagert das klassische Genrethema Geisterhaus in die ostdeutsche Platte
Eine deutsche Horrorfilmproduktion wie die Serie »Hausen« bringt einen interessanten Schwall an Problemen mit. Da wäre zuallererst das generelle, das der deutsche Film mit Genrekino und mit modernem Horror im Speziellen hat. Dazu kommt eine Senderpolitik, Finanzierungsmechanismen, die irgendwie auch so cooles Zeug wie HBO und Netflix machen, aber eben auch das Tatort-Publikum nicht mit Ambivalenzen und Schweinereien vertreiben will.
Die Ausgangskonstellation von »Hausen« macht Hoffnung und ist schon mal super. Ein Plattenbau am Rande der großen Stadt auf einem Feld, im Osten. Die Lichter in den Fluren flackern, in fast allen Räumen ist es halbdunkel und irgendwie eklig diesig, die Bewohn᠆erinnen und Bewohner schwanken lustlos und runtergerockt durchs Gebäude, gelacht wird nicht mehr. Hierher ziehen der alleinerziehende Vater Jaschek (Charly Hübner) und sein Sohn Juri (Tristan Göbel) nach dem Tod von Juris Mutter. Jaschek ist der neue Hausmeister. Die beiden wirken schon bei Anreise komplett depressiv und passen sich in dieser Hinsicht in das Gesamtgefüge gleich sehr gut ein.
»Hausen« nimmt das klassische Horrormotiv des Spukhauses und versetzt es in ein Plattenbau-Setting. Von der ersten bis zur letzten Minute der acht Folgen an geschieht Bedrohliches: In den Wänden rumort und rumpelt es, durch die Leitungen fließt zäher schwarzer Schleim. Ein Kind geistert durch die Gänge und freundet sich mit Juri an, wirkt aber, wie so vieles in und an diesem Haus nicht so ganz von dieser Welt. Ein Baby verschwindet, eventuell im Müllschlucker. Die Nazi-Familie bereitet sich auf die Machtergreifung vor. Im Stockwerk drüber (oder drunter - die Architektur ist etwas unübersichtlich, wie das in Spukhäusern halt so ist) wohnt ein kunstsinniger Mann, der Mädchen verführt, also missbraucht. Fast alle sind abhängig von dem schwarzen Zeug, was durch die Wände fließt (die Nazis allerdings nicht).
»Hausen« ist eine Anspielung auf Berlin-Hohenschönhausen, der Stadtteil, in dem die Platte stand, in der Drehbuchautor Till Kleinert aufgewachsen ist. Kleinert hat die Idee zur Serie entwickelt und die Story gemeinsam mit Anna Stoeva als Head-Autor geschrieben. Der Horror der Erzählung kommt hier aus der erlebten Wirklichkeit, wie oft wenn die Fantastik in Spannung zu einer in sich schon kaputten Normalität gesetzt wird. Das monströse Haus als riesige audiovisuelle Metapher, um von der Einsamkeit und der Entfremdung in einer schon lange zerbröselten Gemeinschaft zu erzählen. Die verschwundenen, leidenden, monströs werdenden Kinder sind im Genre seit jeher ein deutliches Bild für die Dysfunktionalität der Welt der Erwachsenen. An diesen und an viele weitere Genretopoi schließt Kleinert mit einer traumwandlerischer Sicherheit an.
Nun die Probleme. Ein Grund, warum es mit dem Horrorkino hierzulande nicht so richtig funktioniert, ist eine Förder- und Finanzierungslogik, die sehr auf Sicherheit setzt und auch die Produktionen der privaten Sender prägt. Das hat historische Gründe, die führen hier zu weit. Das Resultat jedenfalls ist im Falle von »Hausen« nicht zuletzt der Eindruck einer auf Dauer etwas nervtötenden Überdeutlichkeit. Sicherheit heißt hier: Keine Zuschauer*in darf von den Bildern und Geräuschen im Unklaren darüber gelassen werden, wie sich das alles im jeweiligen Moment anfühlen soll. Über fast jede Szene ist eine dröhnende Tonspur gelegt, alles bedrohlich, die Figuren bewegen sich wie in Zeitlupe durch die Flure, die Kamerafahrten sind langsam, albtraumhaft, ist klar. Aber man nimmt das alles eher als Hinweis auf die inszenatorische Absicht wahr, nicht als unmittelbar spürbare Atmosphäre beim Sehen.
Das allzu Explizite führt zu einem Seheindruck, der sich in etwa anfühlt, wie der schwarze Schleim aussieht, der durchs Bild fließt. Und es ist schon auffällig, wie Regisseur Thomas Stuber auf die Erzeugung von Atmosphäre setzt. Wodurch die Figuren oft nur wie Stichwortgeber für das nächste dunkle Dröhnen auf der Tonspur wirken.
Der Dauereinsatz der immer gleichen filmischen Mittel versetzt das Treiben in dem visuell allerdings immer wieder beeindruckenden Plattenbau-Klotz von Anfang an in eine Art Parallelwelt. Damit kommt der Geschichte von »Hausen« durch die Inszenierung leider abhanden, was es für einen wirkungsvollen modernen Horror bräuchte: einen Bezug und damit eine Spannung zu etwas, das im Kosmos des Films als Normalität gilt und das man als Zuschauer*in als Verweis auf die eigene Realität außerhalb der Bilder wahrnehmen kann. Was an Ambivalenzen und Irritationen in der Geschichte mal gesteckt haben mag, lässt sich da nur noch erahnen.
Das hat eben auch damit zu tun, dass hier mit angezogener Handbremse gefahren wird. Man merkt, welches Verstörungspotenzial in den Interaktionen der Hausbewohner*innen liegt, ohne dass es von den Bildern ausgespielt würde. Die heimelige Nazi-Familie, der Missbrauch, der junge Mann, der mit einem der Drogendealer des Blocks ins Bett geht: »Hausen« deutet immer wieder mal an, dass Gewalt nicht das Gegenteil von Intimität und Geborgenheit ist, sondern aus ihr erwächst. Aber solche Wahrnehmungen werden kurz angetippt, nie wirklich auserzählt, vielleicht weil trotz der knapp acht Stunden Länge zu wenig Zeit bleibt. Was wiederum daran liegt, dass zum zwölften Mal eine Kamerafahrt im Drömeltempo darauf insistieren muss, wie unheimlich es gerade wieder zugeht.
Dass Regisseur Thomas Stuber eigentlich zurückgenommen und zugleich stilbewusst inszenieren kann, zeigt sein Melodram »In den Gängen«. Dass es auch hierzulande möglich ist, ambivalenten, exzessiven und damit effektiven Horror zu inszenieren, zeigen die Filme, die der Autor Till Kleinert als Regisseur gedreht hat, vor allem der destruktiv über die Stränge schlagende »Der Samurai«. »Hausen« aber sitzt irgendwie zwischen den Stühlen. Die Potenziale sind im Plot und schönen Einzelsequenzen präsent. Aber von dem, was die Serie einen spüren lassen will, kommt wenig an.
»Hausen« läuft auf Sky
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