Studienbeginn per WhatsApp

Neue Regelungen der Gesundheitsverwaltung verbieten auch im Wintersemester den Präsenzlehrbetrieb

  • Lola Zeller
  • Lesedauer: 5 Min.

Den Bäumen fehlen mittlerweile die Blätter und den Unis die Studierenden: Letztere nämlich erwartet ein weiteres digitales Semester. Monatelang wurde eine Mischung aus digitaler Lehre und Präsenzlehre geplant. Die neuen Regelungen des Senats haben dem angesichts massiv steigender Infektionszahlen nun am Dienstag einen Riegel vorgeschoben. Demnach sollen die Berliner Universitäten ab dem 2. November Veranstaltungen nur dann in Präsenz durchführen, wenn sie in digitaler Lehre nicht umsetzbar sind, wie zum Beispiel bei Laborpraktika.

Auch die »Einführung von Studienbeginnenden« stelle laut Infektionsschutzverordnung eine Ausnahme von der digitalen Regel dar. Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt abzuwarten. Die offiziellen Einführungsveranstaltungen finden an den Unis bisher ohnehin alle digital statt. Für die »Erstis« genannten Erstsemester-Studierenden bedeutet das, dass sie zu Studienbeginn kaum Möglichkeiten haben, ihren Campus, ihre Dozent*innen und ihre Mitstudierenden physisch kennenzulernen.

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»Die Erstis wirken etwas planlos und verunsichert«, sagt Henrike Kalteich. Zusammen mit Joris Beetz betreut sie den Infostand der Kritischen Orientierungswochen an der Freien Universität (FU) Berlin. Eine Woche vor dem coronabedingt verzögerten Semesterbeginn am 2. November ist der Campus außerordentlich leer. Nur am Pavillon der Kritischen Orientierungswochen ist etwas los. Diese werden von Studierenden der FU organisiert, um ein politisches Alternativprogramm zu den offiziellen Einführungsveranstaltungen der Uni zu bieten.

Besonders für die neuen Studierenden sei der Einstieg in das digitale Studium schwierig, ist der Eindruck von Henrike Kalteich. »Bisher lautet die offizielle Info von der Uni, dass Veranstaltungen für Erstis bevorzugt in Präsenz stattfinden sollen«, erklärt Joris Beetz. Aufgrund der steigenden Fallzahlen halten es die Organisator*innen allerdings für fraglich, ob es bei dieser Regelung bleiben wird. »Uns wurde in einem eher inoffiziellen Gespräch mitgeteilt, dass wir auch in der kommenden Woche voraussichtlich die einzigen in Präsenz stattfindenden Veranstaltungen auf dem Campus sein werden«, berichtet Beetz.

Im Anschluss an eine solche Veranstaltungen stehen einige Studienanfänger*innen beim Infozelt und unterhalten sich. »Ich freue mich, endlich andere Studis kennenzulernen«, sagt Julius Hentze. Er beginnt in diesem Semester, Philosophie und Geschichte zu studieren. »Alle anderen Veranstaltungen sind ausschließlich digital, also hoffe ich, hier auf der Orientierungswoche mit anderen Erstis in Kontakt zu kommen.« Bis er seine Mitstudierenden in den Kursen kennenlernen könne, werde es wohl noch eine ganze Weile dauern, glaubt der Studienanfänger. Er rechnet damit, dass seine Seminare und Vorlesungen digital stattfinden werden. Genaueres erfahre man erst nach der Anmeldung zu den Kursen, sagt er. »Es gibt aber viele WhatsApp-Gruppen, in denen sich die Erstis vernetzen und über Einführungsveranstaltungen unterhalten«, so Hentze.

An der Humboldt Universität (HU) ist die Situation ähnlich. Auch hier finden Kritische Orientierungswochen statt, organisiert von linken Studierendengruppen. Man habe sich darauf eingestellt, keine HU-Räume nutzen zu können, sagt Frederike Berg, eine der Organisierenden. »In der ersten Woche machen wir deshalb jeden Tag einen Stadtrundgang, in der zweiten Woche wird es digitale Veranstaltungen geben«, sagt sie. Die Stadtspaziergänge seien mit jeweils 15 bis 20 Teilnehmenden komplett ausgebucht.

Theodora Boese hat am Stadtrundgang »Obdachlosigkeit in Berlin« teilgenommen. »Ich freue mich auf den Studienbeginn, aber es ist alles auch sehr verwirrend«, sagt die angehende Linguistikstudentin. Mit ihren Mitstudierenden vernetzt sie sich mobil über Gruppen des Messengerdienstes Telegram. Darüber sei zum Beispiel ein Kennenlerntreffen organisiert worden. »Wir müssen uns jetzt viel stärker selbst zusammenfinden, weil wir uns nicht an der Uni treffen«, sagt Boese.

Die Selbstorganisierung über WhatsApp- oder Telegram-Gruppen sagt nicht allen neuen Studierenden zu. Leo Kölsch beginnt in diesem Semester sein Architektur-Studium an der Technischen Universität Berlin und beschäftigt sich viel mit Datenschutz. »Ich benutze kein WhatsApp, Telegram oder Facebook«, sagt er. Deshalb bekomme er gar nicht mit, wenn seine Kommiliton*innen sich verabreden. Sorgen bereitet ihm auch die digitale Lehre über den Anbieter Zoom, denn dieser sei datenschutztechnisch besonders schlecht aufgestellt. »Ich bin in Kontakt mit meinen Professor*innen, ob es irgendwelche Alternativen gibt, an den Kursen teilzunehmen«, sagt Kölsch.

In der Landes-Asten-Konferenz (LAK), dem Zusammenschluss der Berliner Studierendenvertretungen, wird die Kommunikation zwischen den Universitätsleitungen und den Studierenden beklagt. »Die Entscheidungsprozesse sind intransparent, Regelungen werden auf den letzten Drücker beschlossen«, sagt ein Mitglied des Zusammenschlusses. Seinen Namen möchte der Student nicht in der Zeitung lesen. »Die Präsidien und Dekanate sprechen sich über die Maßnahmen ab, teilweise werden diese nicht einmal über Rundmails an die Studierenden mitgeteilt«, sagt er. Trotz der bisherigen Aussage, es solle auch Präsenzveranstaltungen geben, richte man sich darauf ein, dass diese nicht stattfinden können.

Der Studierendenvertreter sieht im Wintersemester noch weitere Probleme kommen: »Die Überbrückungshilfen vom Bund für Studierende in finanzieller Not werden nicht weiter fortgeführt«, kritisiert er. Bei einer Abstimmung zwischen den Studierendenwerken der Länder habe einzig Berlin für eine Fortführung gestimmt, der Rest sah keine Notwendigkeit für die Hilfen, so das LAK-Mitglied. »Ich kann das nicht nachvollziehen. In der aktuellen Wirtschaftslage werden viele Studierende ihre Jobs noch nicht zurückbekommen haben, und mit den steigenden Fallzahlen werden Arbeitsplätze für Studierende erneut wegfallen«, sagt er.

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Die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen (LKRP) kann keine genauen Auskünfte darüber geben, in welchem Rahmen Präsenzformate für Erstsemester-Studierende durchgeführt werden können. Boris Nitzsche, Pressereferent der HU, verweist auf die letzte Mitteilung der LKRP vom 20. Oktober. Dort heißt es, dass »Präsenzformate zur Einführung von neuen Studierenden« als Ausnahme von der digitalen Lehre gelten. Welche Veranstaltungen genau in dieser Regelung inbegriffen sind, wurde auf nd-Anfrage nicht beantwortet.

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