Labour steht vor Machtkampf

Britische Partei suspendiert ihren früheren Chef Jeremy Corbyn

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die britische Labour-Partei hat ihren früheren Vorsitzenden Jeremy Corbyn suspendiert. Anlass hierfür war, dass der 71-Jährige gesagt hatte, der Antisemitismus in der Partei sei überbewertet. Die britische Kommission für Gleichheit und Menschenrechte (EHRC) war am Donnerstag in einem Untersuchungsbericht zu der Einschätzung gekommen, dass die Parteiführung antisemitische Tendenzen in den eigenen Reihen zugelassen habe. Labour muss binnen sechs Wochen einen Aktionsplan vorlegen.

In der Oppositionspartei droht nun ein Konflikt zwischen den Anhängern von Corbyn und Keir Starmer, der im April dieses Jahres zum neuen Parteichef gewählt wurde. Zuvor war Corbyn fünf Jahre lang Vorsitzender und hatte sich wegen Labours Wahlniederlage 2019 zurückgezogen. Kurz nach seiner Wahl hatte Starmer im Namen der Partei in seiner ersten Video-Botschaft und in einem Brief an den Deputiertenausschuss britischer Juden um Entschuldigung für den Antisemitismus in seiner Partei gebeten. Im Sommer entließ Starmer Rebecca Long-Bailey aus seinem Schattenkabinett. Sie hatte im Kurznachrichtendienst Twitter ein Interview mit der Schauspielerin und Labour-Unterstützerin Maxine Peake geteilt, in dem diese behauptet, dass die US-amerikanische Polizei ihr Vorgehen, das zum Tod des Afroamerikaners George Floyd geführt hatte, aus Trainingseinheiten mit israelischen Sicherheitskräften gelernt hätte. Später erklärte Long-Bailey, sie habe niemanden verletzen wollen und sei dafür, Antisemitismus in der Partei auszurotten.

Die Debatte um Antisemitismus entzündet sich bei Labour zumeist an der Haltung zum israelischen Staat und zum Nahostkonflikt. Ähnlich wie in der deutschen Linken geht es um die Frage, was berechtigte Kritik an Israel ist und wann sie in Judenfeindschaft umschlägt. Auch Corbyn stand im Fokus der Kritik. So hatte er Vertreter der schiitischen Hisbollah und der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas als »Freunde« bezeichnet. Vor vier Jahren hatte er öffentlich erklärt, dass er dies bereue.

Es wäre aber falsch, den sich abzeichnenden Konflikt bei Labour auf das Thema Antisemitismus zu reduzieren. Corbyn war der Liebling der linken Parteibasis, die das Parteiestablishment satt hatte. Er forderte Verstaatlichungen und die Abschaffung der hohen Studiengebühren. Corbyn wurde 2015 per Urwahl an die Spitze gewählt und musste sich zunächst eine Hausmacht in der Partei aufbauen. In den Folgejahren verließ eine Reihe unzufriedener Abgeordneter die Fraktion. Als Gründe führten sie nicht nur Antisemitismus in der Partei an, sondern sie sahen auch Ansätze für eine »linksradikale Politik« bei Corbyn, obwohl dessen Programm lediglich klassischen sozialdemokratischen Grundsätzen folgte. Zuletzt gab es auch Streit in der Partei, weil Corbyn es lange vermied, eine klare Haltung zum bevorstehenden Austritt der Briten aus der Europäischen Union einzunehmen.

Es kam immer wieder zu innerparteilichen Konfrontationen zwischen den Unterstützern von Corbyn und den Blairisten, also den Anhängern des früheren Premierministers Tony Blair. Dieser hatte zu Beginn der 90er Jahre New Labour ausgerufen und die Privatwirtschaft gefördert, anstatt die Rolle des Staates bei der Grundversorgung der Bevölkerung zu stärken. Er ließ Krankenhäuser von Privatfirmen finanzieren, der Nationale Gesundheitsdienst mietete diese Gebäude dann. Lange Wartelisten wurden als Grund genutzt, um zunehmend Verträge für Dienstleistungen an private Anbieter zu vergeben. Aus Blairs Regierungszeit in Erinnerung bleibt auch der Irakkrieg, in den er mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush zog. Corbyn war seit Beginn der 80er Jahre Hinterbänkler im Unterhaus und wehrte sich gegen die Politik von New Labour.

Unter dem neuen Vorsitzenden Starmer gewinnen die Blairisten nun wieder an Einfluss. Seit dem Sommer ist David Evans neuer Generalsekretär der Partei. Er war von 1999 bis 2001 stellvertretender Generalsekretär von Labour. Damals bezeichnete er es als wichtiges Ziel, die Partei zu modernisieren und Old Labour zu marginalisieren. Zudem war Evans Wahlkampfchef von Blair. Starmer selbst gehörte eine Weile dem Schattenkabinett von Corbyn an, geriet mit ihm aber in Streit, weil er im Unterschied zu Corbyn ein deutlicher Befürworter des Verbleibs des Vereinigten Königreichs in der EU war.

Labour steht nun vor unruhigen Zeiten. Corbyn kündigte auf Twitter an, gegen die Suspendierung vorgehen zu wollen. Er habe zudem deutlich gemacht, dass alle, die bestritten haben, dass es bei Labour ein Problem mit Antisemitismus gegeben habe, falsch liegen. Nicht das Problem an sich sei übertrieben, sondern die Anzahl von Parteimitgliedern, denen Antisemitismus vorgeworfen werde. Dies würden Umfragen belegen. »Ich werde weiter eine Null-Toleranz-Politik gegenüber jeder Form von Rassismus unterstützen«, schrieb Corbyn.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.