Ungeduscht und trotzdem da

JEJA NERVT: Die Berliner Polizei ist zum politisch rechts stehenden Akteur geworden, meint Jeja Klein

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Räumung der Liebig34: »Du bist so ekelhaft, dir will ich eh nicht zugucken«. Das sagte ein Polizist zu einer Besetzerin, als diese während des Einsatzes im Haus aufs Klo wollte. Bei ihrem Toilettengang wurde sie gegen ihren erklärten Willen von einem männlichen Beamten behelligt. Räumung einer sexpositiven, queeren Party in Berlin-Mitte: Eingesetzte Bullen beschimpfen die Gäste als »pervers« und »ekelhaft« und verbreiten über ihre eigenen Medienkanäle die Behauptung, eine illegale »Fetischparty« sei geräumt worden, Gäste seien nun wohl »unbefriedigt« nach Hause gegangen.

Allein: Die »Fetischparty« war keine, sie fand mit einem ausgetüftelten Corona-Konzept draußen statt und war eine Zusammenkunft in Zeiten, in denen viele Menschen unter Vereinsamung leiden. Wie viele der eingesetzten Polizist*innen am selben Wochenende die eigene Familie ganz ohne Mundschutz und drinnen getroffen haben, ist derweil nicht überliefert.

Jeja nervt
Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasND.de/jejanervt

Sogar Toiletten hatten die Veranstalter*innen im Außenbereich aufgestellt, um Übertragungen zu vermeiden. Am Eingang wurde die Körpertemperatur der Gäste gemessen. Die genauen Umstände der Räumung, eine halbe Stunde vor dem Ende der Feier um 22 Uhr und mit TV-Kameras im Schlepptau, sind noch Gegenstand einer lokalpolitischen Kontroverse. Doch wie so oft in den letzten Jahren war die Polizei mal wieder schneller darin, politische Fakten zu schaffen, als der eigentliche, demokratisch legitimierte Politikbetrieb. Dumm nur, dass sich diejenigen, die diesen Betrieb in Wahlen legitimieren, kaum dafür interessieren, dass die Polizei längst auf eigene Faust zum politischen Akteur mit eigenen Medien geworden ist - und dieser Akteur steht rechts außen.

Dass die autoritäre Uniformgang das Gefühl des Ekels gezielt zur Stimmungsmache einsetzt, ist sicher nichts Neues. Doch in den letzten zwei Wochen hat die Berliner Polizei damit gleich zwei Mal ihren Hass auf Queers, auf geschlechtliche und sexuelle Abweichung, ausagiert. Bei der Berliner Polizei glaubt man zurecht nicht daran, dass fast täglich neu bekannt werdende Naziskandale aus den eigenen Reihen irgendetwas an der Generalbevollmächtigung der Bevölkerung ändern werden, Strafen für Abweichung gleich vor Ort auszuteilen. Schon bei der Liebig34 funktionierte diese Arbeitsteilung prima: Die Bullen schleusten TV-Kameras in den Privatbereich von queeren Menschen, der Mob verbreitete wie auf Zuruf gefälschte Fotos aus dem angeblichen »Drecksloch«, glaubte sich die eigene Lüge nur zu gern und gab sich dem wohlig-warmen Gruppengruseln hin.

Unter Linken ist man über diese gut funktionierende Strategie innerhalb und außerhalb der Behörden schon so müde geworden, dass man sich gar nicht mehr um Gegendarstellungen bemüht: Klar, das Bild von der zerschlissenen, braun durchtränkten Matratze im Müll stammt gar nicht aus der Liebig34, sondern ist der allererste Treffer, den man findet, wenn man nach »Messiwohnung« googelt. Es stammt aus der Werbung einer Dresdner Entrümpelungsfirma. Die Maschinerie der rechten Öffentlichkeit, negative Gefühle wie Ekel oder Angst in Hass zu wandeln, der dann politisch zur Verfügung steht, ist längst wieder viel zu abgedichtet, um noch mit Fakten durchzukommen. Von Argumenten ganz zu schweigen. Jede Richtigstellung wäre sowieso zu spät, denn die Sozialpornografie des Ekels ist da längst schon zum nächsten Objekt weitergezogen, das es zu degradieren gilt.

Als Queers kennen wir diesen Ekel von früh auf. Als ich jugendlich, punkig und geschlechtsunkonform nach einer anhaltenden Grippe mit meinen Symptomen beim Arzt vorstellig wurde, musterte der mich nur demonstrativ und fragte nach meinen wechselnden Geschlechtspartnern, ich hätte womöglich Aids. Ich war noch »Jungfrau«. Dass ich mich obendrein vor mir selber ekelte, hatten meine Mutter und andere Erwachsene da längst erfolgreich in mich eingeimpft.

Der Emanzipationskampf von LGBTIQ begann vor 51 Jahren übrigens mit Gegenwehr gegen Bullenschweinereien. Ich sag nur, wie es ist.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -