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Fabian Reese: Kommt in den Park, Leute
Der Zweitliga-Fußballer Fabian Reese inszeniert sich auf Champions-League-Niveau
Am vergangenen Wochenende hat in der Zweiten Bundesliga eine Merkwürdigkeit stattgefunden: Der Fußballer Fabian Reese hat ein wundervolles Tor geschossen, mit dem schwachen linken Fuß, hochpräzise aus halbrechter Position, unhaltbar an den linken Innenpfosten, sodass der Torhüter des gegnerischen 1. FC Köln nicht einmal so zu tun versuchte, als ob irgendetwas auszurichten wäre – und im direkten Anschluss an dieses wichtige, erhebende, siegbringende Tor hat der Fußballer Fabian Reese dann auf eine Weise gejubelt, die so etwas wie dankbare Überraschung zu transportieren schien: Mit beidseits abwärts wedelnden Händen lief er in Richtung seiner mitgereisten Fans, der Fans des Zweitligisten Hertha BSC, wedelnd wie ein Seevogelküken, das die Eltern zu Flugzwecken vom Fels gestoßen haben, ein bisschen aber auch, als wollte jede der Hände sagen: »Ohauerha! Da hab ich ja mal echt Glück gehabt.«
Für den Fußballer Fabian Reese bedeutet dieser Moment unverkennbar eine Wende, zwar nicht sportlich, denn sportlich befindet er sich seit Jahren auf einem eigenen Niveau (wenn man das Niveau der Zweiten Liga als Maßstab nimmt). Mindestens so sehr wie als Sportler hat dieser im falschen Film befindliche Spitzenfußballer sich, vielleicht ja aus Langeweile, als Medienphänomen in den Mittelpunkt gespielt.
Seit der Kieler Junge im Sommer 2023 beim Hauptstadtclub anheuerte, hat er die Öffentlichkeit mit Geschichten gefüttert wie vor ihm kein Zweitligaspieler, und er hat dabei die beliebten Medienwaren »Authentizität« und »Bodenständigkeit« geliefert, darin übertroffen höchstens noch von Bundesliga-Authentikus Jackson Irvine, dem Kapitän des FC St. Pauli, der als Klub die Inszenierung von »Werten« schon lange zu seinem Unique Selling Point gemacht hat. Zu den Merkwürdigkeiten der Medienwelt gehört es dabei auch, dass die Pose – irgendeine vage Pose – schon genügt, um für eine »Haltung« gehalten zu werden. Fabian Reese debütierte als Medienkünstler gleich in seinen ersten Berliner Wochen, indem er rasierte Schläfen zur Schau stellte wie derzeit jeder dritte Dösbaddel-Student – und sich, also wissense, die Fingernägel lackierte!
Das Lackieren von Fingernägeln – in Berlin, of all places – wurde medial als eine ungeheure Heldentat verhandelt, und, ja, Disclaimer: Auch der Autor dieser Zeilen lackiert sich manchmal die Nägel, und eine bessere Welt wäre eine, in der das niemanden interessierte. Hunderte Millionen Leute lackieren sich die Nägel, was soll jetzt so toll daran sein? Der Medienmeister Fabian Reese erkannte die Gelegenheit und sprach: »Ich trage eine andere Frisur und Nagellack. Ich bin nicht so der Prototyp eines Fußballers. Ich stehe für meine Meinung und meine Werte ein.«
Welche Meinung? Welche Werte? Da fragte dann keiner nach. Stattdessen konnte er der »Welt« berichten, welche Mantras er und seine Freundin Jojo im Tagesablauf so nutzen. Frage: »Ein Beispiel für ein Mantra, bitte?« Reese: »Meine Freundin und ich sagen: Zeig, wer du bist, sei du selbst, und du kannst alles schaffen. Wenn man sich das sagt, ist das schon ein großer Schritt. Auf einmal schafft man Dinge, die man nie für möglich gehalten hat. Man muss sich nur trauen.« So kommt man voran im Leben! Für die berühmten Fingernägel reichte der Mut allerdings trotz aller Mantras nicht. »Das Lackieren ist schon eine filigrane Arbeit, das kann ich selbst nicht in Perfektion. Seit dem ersten Tag hat Jojo mir die Nägel lackiert.«
Manchmal trägt er lackierte Nägel. Für die Medien ist das eine Heldentat.
Sprach’s und war auf dem Weg zum nächsten Happening. Mal begab er sich auf den Flohmarkt, für einen Kieler vielleicht das Berlinerischste, was sich vorstellen lässt, und hatte damit vollen Erfolg. Die in der Hauptstadt reichlich vorhandenen Boulevardzeitungen berichteten begeistert über seinen Flohmarktstand, zwischendurch gab Reese Nachhaltigkeits-Tipps: Er sammele Hertha-Retrotrikots, mit denen er gern durch den Mauerpark laufe. Ernsthaft? Das ist in einer Stadt, wo man alle naslang irgendwelchen Promis über den Weg läuft, wobei beide Seiten versuchen, Diskretion zu wahren, schon ein erstaunlicher Auftritt.
Als Fußballer war Fabian Reese leider seit Juli verhindert, da sie ihn bei einem Freundschaftsspiel in Cottbus kaputt getreten haben. Während seine Mannschaft sich ohne ihren Star durch die Liga quälen musste, perfektionierte Reese seine Skills als Authentizitäts-Großmeister. Hunderttausend Followern teilte er eines Nachmittags über Instagram mit: Er und Jojo würden jetzt gleich ein wenig chillen, im Lietzenseepark in Charlottenburg. Die Berliner Polizei fiel aus allen Wolken und schickte drei Mannschaftswagen, Hunderte Hertha-Fans zelebrierten die vergessen geglaubte Institution der »künstlerischen Aura«, indem sie respektvoll um Fabi und Jojo herumschlichen, ihn filmten oder ab und zu auch mal vorsichtig etwas fragten.
Nach diesem euphorisierenden Highlight erwies sich Reese dann als mental überspielt: In einem unkontrollierten Anfall von Selbstvermarktung brachte er ein T-Shirt auf den Markt, 35 Euro, Motiv: Olympiastadion, Fabian Reese, Fabian Reese, Fabian Reese. Hintendrauf standen die Termine der nächsten Hertha-Spiele, wobei Reese an der gängigen Rechtschreibung öfters etwas übermotiviert vorbeigedribbelt war.
Und es wurde Herbst um ihn. Selbst den Berliner Fans, denen ein bisschen lautes Gepose nicht fremd ist, fiel das T-Shirt negativ auf, vermutlich weil es ohne den geringsten Hauch von Selbstironie gemacht war, die bei der Berliner Angeberei immer dazugehört. Das hatte aber dem Kieler niemand verraten. Reese wurde nun allgemein gerüffelt, der »RBB« befand streng: »Reese macht sich Dinge zu eigen, die ihm nach nur einem Jahr im Verein noch nicht zustehen – und will nun monetär davon profitieren.«
Reese entschuldigte sich und wurde etwas stiller, wobei der desolate Zustand des Teams ihn trotzdem immer wieder in den Vordergrund schob: Wann kommt Reese wieder? Kann er Hertha noch zum Aufstieg schießen? Kann er Hertha vor dem Abstieg retten? Bleibt er bei Hertha? Seit ein paar Wochen ist er nun wieder am Start, und er lässt auf dem Rasen und am Mikro keinen Zweifel daran, dass die Mannschaft sich um ihn dreht, dass Hertha sich um ihn dreht, dass Berlin und also das gesamte bekannte Universum sich um ihn drehen. Stets tut er kund, dass er vorangehe und alle anderen inspiriere und mitreiße, kein Spiel vergeht, ohne dass er die Hertha-Fans mit wilden Gesten zum Anfeuern anfeuert, und auch jetzt wieder, in Köln, hat Fabian Reese mit seinem Traumtor das Ruder herumgezwungen und der Mannschaft den Weg zum Auswärtssieg gezeigt. Erst als man ihn im Laufen und im Jubeln so mit den Flügelchen wedeln sah, dachte man darüber nach: hm, dass Fabian Reese sich ja gar keine richtig peinlichen Auftritte geleistet habe in letzter Zeit. Und dass diese neue Geste, wie soll man sagen: fast so etwas wie Demut ausstrahlt. Demut vor dem Schicksal? Den Werten? Vor der Physik, der jeder Ball unterworfen ist? Demut vor dem, was, der gängigen Fußball-Folklore nach, größer ist als jeder Kicker und jeder Fan – der Verein?
Gut ausgedacht wäre es ja.
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