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»Fragwürdiges Menschenbild«
Bei einer Ausschussanhörung wurde über die Hartz-IV-Regelsätze diskutiert
Bei der Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales am Montag ging es um viel. Für rund 385 000 Menschen, die aktuell Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten sowie für 3 894 008 Menschen, die Hartz IV beziehen, geht es um die Erhöhung der Gelder, die sie ab 2021 zur Existenzsicherung bekommen.
Etwa alle fünf Jahre werden die Regelsätze neu berechnet. Dazu wird eine Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) durchgeführt, die wiederum als Grundlage für die Anpassung dient. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht etwa für alleinstehende Erwachsene ab Januar 2021 eine Regelsatzerhöhung von 14 Euro vor. Um diesen Entwurf ging es in der Anhörung.
Die Positionen sind strittig. Erwerbslose Menschen, die Hartz IV beziehen, sollten nicht so viel bekommen, dass sie an diejenigen herankommen, die von einem niedrigen Erwerbseinkommen leben, sagte etwa Anna Robra von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Schließlich brauche es einen Abstand zum Lohn, um Anreize zum Arbeiten zu schaffen.
Vor allem aber ging es bei der Anhörung darum, dass verdeckt arme Menschen als Referenzgruppe für die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze herangezogen werden. In der EVS werden die Einkünfte der unteren 15 Prozent der Bevölkerung als statistische Grundlage genutzt. Darunter sind beispielsweise auch Menschen, die selber unter dem Existenzminimum leben und etwa mit Hartz IV ihr niedriges Erwerbseinkommen aufstocken müssten.
Sowohl die Linke hatte in einen Antrag gefordert, solche Rechentricks zu beenden und die Regelbedarfe sauber zu berechnen, wie auch die Grünen, die ihren Antrag mit »Regelbedarfsermittlung reformieren« betitelt hatten. »Die Entscheidung, wie das Verfahren ausgestaltet ist, ist nicht unsere,« stellte ein Vertreter vom Statistischen Bundesamt bei der Anhörung fest. In Zukunft solle es aber eine Haushaltsbuchapp geben, um die Erhebung der EVS zu vereinfachen und etwas schneller aufbereiten zu können.
Die Kritik an der Berechnung richte sich laut vielen Anwesenden aber sowieso nicht an das Statistische Bundesamt, sondern an die Ausgestaltung der Politik. Alexander Nöhring vom Zukunftsforum Familie bezweifelte etwa die sachgerechte Anwendung des Statistikmodells. Es sei ein Problem, dass die verdeckte Armut nicht ausgeklammert werde. Laut Robra vom BDA wäre es im Moment nicht möglich, den Umfang verdeckter Armut bei der Berechnung der Regelsätze zu berücksichtigen. Petra Zwickert von der Diakonie nannte hingegen gleich mehrere Möglichkeiten, die in Armut lebenden Menschen aus der Referenzgruppe herauszunehmen.
Auch Andreas Peichel vom ifo-Institutsagte: »Ich glaube es gibt noch eine ganze Reihe von Dingen, die man tun könnte, um das zu verbessern.« Die Datenlage zur Berechnung der Regelsätze sei grundsätzlich sehr schlecht. Ein Vertreter vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge stellte zudem fest: »Da kommen Fallzahlen zusammen, die statistisch nicht mehr tragbar sind.« So gebe es teils nur 14 Referenzfälle, also 14 Menschen, auf deren Angaben manche Ausgabenposten für die Hartz-IV-Sätze für Millionen Menschen festgelegt werden.
Aber auch die Streichung von Ausgabenposten aus den Regelsätzen wurde im Ausschuss von vielen Seiten kritisiert. »Die EVS- Berechnung ist nicht geeignet, um die Menschen aus Armut herauszuholen«, sagte die langjährige Hartz-IV-Kritikerin Inge Hannemann. »Sie streicht Kosten heraus, gerade auch bei Kindern, die in meinen Augen zumindest für eine sozio-kulturelle Teilhabe wichtig sind.« Zum Beispiel werde bei der Berechnung der Regelsätze davon ausgegangen, dass die Menschen ein Fahrrad hätten, was aber nicht immer der Fall sei. Sie habe berechnet, dass Hartz-IV-Betroffene für ein 100 Euro teures, gebrauchtes Fahrrad 76 Monate beziehungsweise sechs Jahre sparen müssen.
Nikola Schopp vom Zukunftsforum Familie sagte bezogen auf die Regelsätze: »Es reicht nicht, um Kinder und Jugendliche am Leben ihrer Altersgenossen teilhaben zu lassen.« So würden sich durch die herausgenommenen Ausgabenposten etwa Bildungsungleichheiten verschärfen. Auch Petra Zwickert von der Diakonie stellte fest: »Existenzielle Bedarfe werden immer weniger gedeckt.« Bezogen auf die angebliche Notwendigkeit eines Abstandes zwischen niedrigen Löhnen und Grundsicherung stellte sie fest, dass dahinter ein »fragwürdiges Menschenbild« vom arbeitsscheuen Leistungsbezieher stehe.
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