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Vorschrift ist halt Vorschrift
Bezirksamt Mitte bremst lesbisches Wohnprojekt
Knapp 70 Mietwohnungen, dazu eine Pflege-WG mit acht Plätzen, ein Kiezcafé, Beratungs- und Veranstaltungsräume: Eigentlich sollten in wenigen Wochen die Bauarbeiten beginnen für Berlins erstes großes Wohnprojekt, das sich in erster Linie an ältere lesbische Frauen richtet. Eigentlich, denn tatsächlich wird auf dem bislang als Parkplatz genutzten Grundstück neben dem Rathaus Mitte erst einmal überhaupt nichts passieren. Weder in diesem noch im kommenden Jahr. »Der Baustart ist nun für 2022 vorgesehen«, sagt Jutta Brambach vom Berliner Verein Rad und Tat - Offene Initiative Lesbischer Frauen (RuT), den »Generalnutzerinnen« des geplanten Achtgeschossers an der Berolinastraße.
Nun sind Verzögerungen bei Bauvorhaben nichts Ungewöhnliches. Den Frauen von RuT setzt der um zwei Jahre verschobene Projektstart aber in besonderem Maße zu. Denn die Initiative kämpft seit über zehn Jahren für ihr Haus. In all den Jahren war ein altersgerechtes Wohnhaus für Lesben mehrfach zum Greifen nah - nur um dann doch zu scheitern. Mal sprang ein Investor in letzter Sekunde ab, wie 2014 am Richardplatz in Neukölln. Mal unterlag RuT in einem Rechtsstreit um ein Grundstück einem Mitbewerber, wie vor zwei Jahren unweit des Bahnhofs Südkreuz in Schöneberg.
An Fürsprechern mangelt es nicht. »Das RuT-Wohnprojekt hat für die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung und die Landesantidiskriminierungsstelle einen hohen Stellenwert«, sagt Michael Reis, Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). »Wir sind stolz auf dieses besondere Projekt«, sagt Christoph Lang, Sprecher der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Die Landesantidiskriminierungsstelle finanziert die drei Teilzeitstellen bei RuT, die das Bauvorhaben betreuen. Der WBM wiederum gehört das Grundstück ebenso wie das künftige Haus. Das Projekt wird zwar von RuT und WBM in enger Zusammenarbeit realisiert, dennoch wird die Lesbeninitiative lediglich Mieterin des Hauses sein, und das auch nur für 25 Jahre.
Den Architekten schwebt dabei ein recht schmuckloser länglicher Bau vor, der sich nicht groß von den umliegenden Plattenbauten an der Berolinastraße unterscheidet. Umso größer war die Verwunderung, als im Sommer die Nachricht vom Stadtplanungsamt Mitte eintrudelte, dass der von der WBM 2019 eingereichte Entwurf so nicht realisiert werden darf. »Wir wollten jede Wohnung mit einem Balkon ausstatten, was gerade für ältere Menschen wichtig ist«, sagt Brambach. Doch die Balkone wurden nur zum Teil genehmigt. Die Fassadengestaltung wurde gleich komplett abgelehnt. »Regenbogenfarben oder abgestufte Lilatöne - das darf nicht sein.« Auch bei der vorgesehenen offenen Erdgeschossplanung stellte sich das Amt quer. Dabei geht es RuT mit dem Haus auch und vor allem um lesbische Sichtbarkeit.
Das Problem: Das Grundstück liegt im Erhaltungsgebiet Karl-Marx-Allee II, somit gilt die Erhaltungsverordnung von 2015. Und das Stadtplanungsamt habe bei RuT eben sehr auf die Einhaltung der Verordnung gepocht, sagt Brambach. Nach dem Motto: Vorschrift ist Vorschrift. »Was inhaltlich in dem Haus passiert, hat das Amt nicht interessiert.« Die Architekten mussten umplanen, was letztlich die ganze Zeitplanung über den Haufen warf.
Von Behördenschikane will die Projektleiterin aber nicht sprechen. »Grundsätzlich ist die Unterstützung da. Wir bekommen ein Büro und drei Stellen finanziert. Dass das nicht zu 100 Prozent ausreicht, ist eine andere Sache. Es gibt andere Projekte, die erhalten jedenfalls deutlich stärkeren Support.«
Mit Letzterem meint Brambach nicht zuletzt die Berliner Schwulenberatung, jenen oben erwähnten Mitbewerber im Kampf um das Grundstück am Südkreuz vor zwei Jahren. Die Schwulenberatung feierte dort Ende September den Spatenstich für ihr neues inklusives Wohn- und Bürohaus, »Lebensort Vielfalt«, auf eigenem Grundstück und bereits das dritte in der Hauptstadt. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kam freudestrahlend, hielt eine Rede und griff mit zum Spaten (»nd« berichtete).
Genau diese Rückendeckung wünscht sich Brambach auch für ihr Projekt. Zwar habe für die Auflage an die WBM, das Projekt in Mitte mit RuT zu realisieren, der Streit mit der Schwulenberatung keine unwesentliche Rolle gespielt. Auch mit der Wohnungsbaugesellschaft arbeite man gut zusammen. Aber: »Wenn die Stadt möchte, dass lesbische Sichtbarkeit vorangebracht wird, dann muss da wesentlich mehr kommen«, so Brambach.
Im Haus von Senator Behrendt verweist man darauf, dass man die Zuwendungen an RuT »erheblich erhöht und gegenüber dem Vorjahr vervierfacht« habe. Das Projekt stehe darüber hinaus »auch personell auf einer soliden Basis«, so Sprecher Michael Reis zu »nd«. Nun ja, sagt Brambach: »Wir sprechen von drei Frauen auf 1,89 Stellen.« Zum Vergleich: Die Schwulenberatung beschäftigt über 150 Mitarbeiter.
Trotz allem ist Brambach optimistisch. Auch wenn sich nach all den Jahren des Wartens bei einigen Frauen inzwischen »Frust und Resignation« breit mache, sei die Nachfrage nach den Wohnungen an der Berolinastraße »gigantisch«. Schon jetzt verzeichne RuT über 300 Interessentinnen. Kein Wunder, so Brambach: »Auch lesbische Frauen möchten im Alter in Gemeinschaft wohnen, gemeinsame Dinge erleben. Vor allem möchten sie nicht in Situationen kommen, in denen sie ihr Lesbischsein erklären müssen.«
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