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Dinosaurier aussterben lassen

Widerstand gegen Planung des Senats für Ersatz der Mühlendammbrücke

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Tschüss! Unort!« steht auf dem Bauzaun der archäologischen Ausgrabungen am Molkenmarkt. Aus der Autoschneise hinter dem Roten Rathaus soll wieder ein Ort mit städtischem Leben werden. Doch nur einige Meter weiter, an der Mühlendammbrücke, bliebe nach Plänen der Senatsverkehrsverwaltung fast alles so, wie es ist.

Die marode Brücke soll nach Plänen der Verwaltung von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) durch einen Neubau ähnlicher Dimension ersetzt werden. 45 Meter breit ist der Bau derzeit, 39 Meter sollen es künftig sein. Statt bisher vier Autospuren pro Richtung und Parkplätzen in der Mitte sollen sich künftig um eine zentrale Gleistrasse der Straßenbahn je zwei Fahrspuren, ein breiter Radweg sowie die Bürgersteige gruppieren.

Eine Planung, die seit Jahren auf Widerspruch stößt. »Wenn man so baut, zementiert man für 80 Jahre die überdimensional breite Brücke«, sagt Hendrik Blaukat, Vorstand der Anwohnerinitiative IG Leipziger Straße, zu »nd«. Insgesamt 16 Initiativen, Verbände und Vereine teilen das Anliegen, den Ersatz für die Mühlendammbrücke nicht in der Dimension des autogerechten Spannbetonbaus von 1968 zu errichten. Darunter der Umweltverband BUND, der Werkbund Berlin, der Berliner Fahrgastverband IGEB, der Verein Changing Cities sowie der Architekten- und Ingenieurverein Berlin. »Die Mühlendammbrücke markiert nicht nur den Gründungsort Berlins, sondern steht aktuell auch für das Ende der Verkehrswende und den undemokratischen Umgang mit der Zivilgesellschaft«, heißt es in der Einladung zum Pressetermin am Donnerstag. Die Forderung: Eine Autospur pro Richtung soll wegfallen.

»Wir wollen ein künstliches Nadelöhr an dieser Stelle für alle Verkehrsarten vermeiden«, sagt Jan Thomsen, Sprecher der Verkehrsverwaltung, zu »nd«. An der Oberbaumbrücke sehe man, wie schwierig es wird, wenn für ÖPNV, Rad- und Fußverkehr wenig Raum vorhanden ist. Laut Prognosen für 2030 müsse eine Durchlassfähigkeit für fast 63 000 Pkw pro Tag gewährleistet werden - das gehe nur mit zwei Autospuren pro Richtung.

»Das Maß der Dinge sind Menschen statt Kraftfahrzeuge«, sagt der studierte Verkehrsplaner Stefan Lehmkühler, der sich beim Verein Changing Cities engagiert, der aus dem Fahrrad-Volksentscheid hervorgegangen ist. Lehmkühler rechnet vor, dass 18 Straßenbahnen pro Stunde und Richtung, wie auf der M4, täglich knapp 44 000 Autos ersetzen können. Auf der verbleibenden Fahrspur pro Richtung könnten über 27 000 Autos verkehren. Dabei geht er von der sogenannten Spitzenstunde im Berufsverkehr aus, in der zehn Prozent der täglichen Verkehrsmenge abgewickelt werden. »Ein einziger Kraftfahrzeugstreifen pro Richtung ist daher vollkommen ausreichend«, sagt Lehmkühler zu »nd«. Dann würde eine 33 Meter breite Brücke reichen.

Die Verwaltung argumentiert, dass bei einer weiteren Fahrstreifenreduzierung vorab ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden müsste. »Solch ein mehrjähriges Planfeststellungsverfahren würde die Inbetriebnahme der geplanten Straßenbahnstrecke Alexanderplatz-Potsdamer Platz um einige Jahre nach hinten verschieben«, heißt es auf der Projekt-Webseite. Lehmkühler bestreitet das - seiner Ansicht nach würde eine im Verfahren wesentlich einfachere sogenannte Plangenehmigung ausreichen.

Der langanhaltende Widerstand auch des Baustadtrats von Mitte, Ephraim Gothe (SPD), hat zumindest dazu geführt, dass die Senatsverkehrsverwaltung zu einer »Bürgerinformationsveranstaltung« am kommenden Montag um 18 Uhr einlädt, pandemiebedingt allerdings nur online. »Statt eines Beteiligungsverfahrens hätte es zunächst einen Dialog geben sollen, nun also nur noch eine Informationsveranstaltung. Die Verkehrsverwaltung wird den Ansprüchen von Rot-Rot-Grün damit überhaupt nicht gerecht«, kritisiert Hendrik Blaukat von der IG Leipziger Straße. Welchen Einfluss die Veranstaltung auf den Fortgang des Projekts haben soll, bleibt unklar. Von der Verwaltung heißt es vage, dass weitere Anregungen und Vorschläge in die Vorbereitung des Realisierungswettbewerbs einfließen sollen.

Dabei würden sich die Bürger nach historischem Vorbild sogar eine Seitenbebauung auf der Brücke wünschen. Vergleichbar dem Ponte Vecchio in Florenz standen rund 700 Jahre Gebäude auf der Mühlendammbrücke.

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