Wandern im Weltnaturerbe

Anstatt verreisen: Durch die Buchenwälder des Grumsin in der Uckermark

  • Oliver Gerhard
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit geschlossenen Augen klingt es wie Regen: Jeder Windhauch bringt neue Blätter an den gewaltigen Buchen zum Rieseln. Sanft segeln sie durch den Hallenwald zu Boden, hier und da blitzen sie im Licht der schräg einfallenden Sonnenstrahlen gelb, rot oder orange auf. Ein Herbstmorgen im Buchenwald Grumsin, der seit 2011 zum Weltnaturerbe der Unesco zählt - zusammen mit anderen europäischen Buchenwäldern.

»Am Tag der Bekanntgabe läuteten die Kirchenglocken rund um den Grumsin und die Anwohner stießen mit Sekt an - der Titel löste Euphorie aus, viele erhofften sich einen Aufschwung für die einsame Gegend«, erinnert sich Roland Schulz. Der studierte Förster, Journalist, Buchautor und Naturführer verliebte sich nach der Wende in die Region, aus der seine Eltern vor dem Mauerbau weggezogen waren.

Tipps

Anreise: Der Grumsiner Forst liegt 70 Kilometer nördlich von Berlin. Mit dem Auto über die A11 bis Ausfahrt Joachimsthal, dann Richtung Angermünde. 

Wandern: Vier Wanderrouten rund um den Grumsin zwischen 7 und 20 Kilometern Länge wurden mit Buchenblättern in verschiedenen Farben markiert. Weitere Touren in der Region führen rund um den Wolletz- und Grimnitzsee. 

Stärkung: Auch während des Lockdowns hat der Hofladen der Grumsiner Brennerei geöffnet: Di–Fr 11–16, Sa/So 13–17 Uhr. www.grumsiner.de 

Buchenwälder-App: Die App »Weltnaturerbe Buchenwälder« informiert unter anderem über den Grumsin. Hier kann eine Karte mit einer 8 Kilometer langen Wanderroute und 13 beschriebenen Streckenpunkten heruntergeladen werden.

Auskunft und Buchung:
www.angermuende-tourismus.de

Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverein Angermünde.

»An manchen Stellen ist der Wald bis zu 200 Jahre alt«, sagt Schulz und zeigt auf einen markanten Baumriesen, der von riesigen Zunderschwämmen besetzt ist. Seit mehr als 30 Jahren hat niemand mehr Hand an den sechs Quadratkilometer großen Buchenwald gelegt. Und auch vorher stand er unter besonderem Schutz: Weil das DDR-Politbüro hier gerne zur Jagd ging, blieb er als Rückzugsgebiet für das Wild erhalten.

Beim Wandern durch den »Urwald im Werden« wechseln sich steile Hügel mit tiefschwarzen Moorseen und Tümpeln ab, unter den gigantischen Buchen erstreckt sich ein Teppich aus rot leuchtenden Blättern. Es riecht nach Pilzen und modrigem Laub. Einmal flüchtet ein Reh ins Dickicht und aus der Ferne schallen immer wieder heisere Rufe: »Vor 25 Jahren habe ich hier den ersten Kranich gesehen - inzwischen brüten viele regelmäßig im Grumsin«, sagt Schulz.

Unterwegs stößt man auf Spuren langjähriger Bewirtschaftung: die Reste bronzezeitlicher Hügelgräber, überwachsene Dorfverbindungen auf ausgeschlagenen Pflasterstraßen und dunklen Hohlwegen. Roland Schulz zeigt auf bearbeitete Felsbrocken: Relikte der Steinschläger, die über Jahrhunderte in nahe gelegenen Gruben Steine für Kirchen, Gehöfte - und das Berliner Straßenpflaster - abbauten.

Das Dörfchen Altkünkendorf ist der ideale Ausgangspunkt für eine Herbstwanderung. Nur ein schmales Sträßchen führt von Angermünde in den 230-Einwohner-Ort, durch Alleen und vorbei an Feldern mit eizeitlichen Söllen. Es gibt mehrere Wanderrouten durch den Wald oder um ihn herum. Einsteiger spazieren über einen Feldsteinweg bis in den Weiler Luisenhof, wo man in den Wald eintaucht für eine insgesamt rund sieben Kilometer lange Runde.

Trotz der Nähe zu Berlin blieb der Buchenwald Grumsin lange ein Geheimtipp, nur selten begegnete man anderen Wanderern. Die Bewohner der Region sehen dies jedoch anders: Die Angst vor »Overtourism«, vor einem Zuviel an Besuchern, macht die Runde. Eine Befürchtung, die während des vergangenen Sommers noch Nahrung erhielt, als die Besucherzahl erstmals zunahm, Straßen und Feldwege zugeparkt waren.

Bestimmt spielt auch eine Rolle, dass 1990 ein Großteil des Gebietes für den Schutz von Schwarzstörchen und Seeadlern zum Totalreservat erklärt wurde. Ein Ärgernis für Anwohner, die hier vorher Pilze, Früchte, Brennholz sammelten und in den Seen angelten. Und für jene, die Land abtreten mussten. »Die Letzten wurden erst nach 30 Jahren entschädigt. Der Naturschutz hat es anfangs versäumt, mit den Menschen zu reden und zuzuhören«, sagt Schulz.

Umso wichtiger findet der 60-Jährige die geführten Touren ins Naturerbe, dei es nach dem Shutdown wieder geben soll: »Wir müssen den Menschen die Schönheit zeigen - sie hatten früher viel mehr Bezug zum Wald«, sagt er. Dabei geht es auch darum, für Umweltprobleme zu sensibilisieren: Schulz erlebt seit Jahren, wie der Wald leidet.

2019 war ein »Mastjahr«, in dem die Buchen hundertmal mehr Eckern produzierten als in normalen Jahren. »Diese Überproduktion schwächt die Bäume«, so der Experte. Dazu kommen die Auswirkungen des dritten Trockenjahres in Folge: »Von März bis Ende April ist kein Tropfen Regen gefallen«, sagt Schulz. »Gerettet hat uns ein Gewitterregen mit fast 70 Litern Niederschlag im Mai.«

Auf seinen Touren erklärt Schulz, wie Bäume mit Duftstoffen untereinander kommunizieren und welche Symbiose Pilze und Bäume miteinander eingehen. Doch auch ohne Guide während des Lockdowns entdeckt man viele Naturwunder am Wegesrand: die moosbewachsenen Wurzelhälse der Bäume, die wie Saurierfüße im Laub stehen; die eiszeitlichen Findlinge; die umgestürzten Stämme, die vielen Insekten einen Lebensraum bieten.

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