Lehren aus Leipzig

Stadtrat beschäftigt sich mit «Querdenken»-Demo / Sächsisches Oberverwaltungsgericht begründet Entscheidung zu Genehmigung

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Leipzig. Mit der außer Kontrolle geratenen «Querdenken»-Demonstration vom vergangenen Wochenende beschäftigt sich am Mittwoch der Leipziger Stadtrat. Die Fraktionen der Linken, Grünen und der SPD haben jeweils dringliche Anfragen eingereicht. Darin wollen sie von der Stadtverwaltung unter anderem wissen, wie die Lage vorab eingeschätzt wurde, mit welchen Teilnehmerzahlen gerechnet wurde, und warum die Versammlung trotz massenhafter Verstöße gegen die Demo-Auflagen erst nach mehr als zwei Stunden aufgelöst wurde.

Am Dienstagabend legte das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) die Begründung für seinen umstrittenen Beschluss vor. Dieser hatte die Versammlung in der Innenstadt erlaubt. Die Stadt Leipzig hatte die Demonstration zuvor eigentlich auf einen großen Messe-Parkplatz am Stadtrand verlegen wollen. Laut Begründung gingen die Richter von 16.000 Teilnehmern aus. Dabei bezogen sie sich auf eine Gefahrenprognose der Polizei. Für eine solche Menschenmenge sei der Augustusplatz in Leipzig groß genug gewesen, auch unter Wahrung der Corona-Abstandsanforderungen von sechs Quadratmetern pro Person, hieß es.

Zudem habe der von den Veranstaltern von Anfang an gewünschte Platz zumindest «eine gewisse Wahrscheinlichkeit» geboten, dass sich die Menschen auch wirklich dort versammeln und nicht ungeordnet in der Stadt verteilen, teilte das OVG am Dienstagabend in Bautzen mit. Nach der Verlegung an die Messe hatte der Anmelder angekündigt, die Demo dort nicht abhalten zu wollen.

Tatsächlich versammelten sich am Samstag deutlich mehr als 16.000 «Querdenker» in der Leipziger Innenstadt. Die Polizei ging von 20.000 Teilnehmern aus. Die Initiative «Durchgezählt», eine Forschungsgruppe der Universität Leipzig, schätzte die Gesamtzahl sogar auf 45.000. Ganz überwiegend trugen die Demonstranten nicht die geforderten Masken. Die Stadt löste die Versammlung auf. Danach erzwangen die Menschen einen Gang über den Leipziger Ring.

Als erste Konsequenz für das Chaos verschärfte die sächsische Landesregierung Regeln für Versammlungen. Sie sollen künftig auf 1000 Teilnehmer begrenzt werden. Im Einzelfall sollen auch größere Kundgebungen möglich sein, wenn technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, um das Infektionsrisiko zu senken. Bisher sieht die sächsische Corona-Schutzverordnung keine Begrenzung bei Versammlungen vor. Die neue Verordnung soll ab Freitag gelten.

SPD sieht Koalition belastet

Die Ereignisse in Leipzig stellen auch die Regierungskoalition in Sachsen auf eine harte Bewährungsprobe. Grund ist die unterschiedliche Bewertung der Situation durch Grüne und SPD auf der einen Seite und Union auf der anderen Seite. Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) sprach am Dienstag von einer «großen Belastung» der Koalition. Es sei Aufgabe der nächsten Tage, dieses Vertrauen wieder herzustellen«, sagte Wolfram Günther (Grüne), gleichfalls Stellvertreter von Regierungschef Michael Kretschmer (CDU).

Dulig und Günther machten geltend, dass sie die Demonstration schon im Vorfeld auf der Kabinettssitzung in der vergangenen Woche zur Sprache gebracht und gefordert hatten, dass man sich anders auf die Kundgebung vorbereiten muss. »Leider ist alles das eingetreten, was wir am Dienstag befürchtet haben«, sagte Dulig. Die CDU sei jetzt gefordert. »Denn was ich nicht akzeptiere ist, dass es wie immer ist: In Sachsen macht man keine Fehler«, sagte der SPD-Politiker.

Forderungen nach einem Rücktritt von Innenminister Roland Wöller (CDU) schlossen sich aber weder Dulig noch Günther an. Wöller selbst sagte, er wolle die Rücktrittsforderungen »nicht weiter kommentieren«. Unter anderem hatten die Linken in Sachsen seine Entlassung gefordert. Der Innenminister bekräftigte, dass die Vorgänge um die Großdemo aufgearbeitet werden sollen. Am Donnerstag werden sich Innen- und Rechtsausschuss des Landtags in Dresden in einer Sondersitzung damit befassen.

Unterdessen warnte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius vor einer Radikalisierung von Corona-Leugnern. »Der Einfluss von Rechtsextremisten auf die Szene und die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen kann nicht wegdiskutiert werden, und er darf nicht unterschätzt werden«, sagte der SPD-Politiker. Zwar seien nicht alle, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gingen, Neonazis und Rechtsextremisten. Aber sie machten sich immer wieder, ob sie es wollten oder nicht, mit Rechtsextremisten gemein, die mit ihnen Seite an Seite demonstrierten. Agenturen/nd

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