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Keine Panik, Ausbildung geht online
25 Berliner Betriebe zeigen bei einer Beratung im Internet, was Azubis bei ihnen erwartet
Mit André Dankwart möchte man direkt losziehen und Brunnen bohren. Der sympathische 20-Jährige ist Azubi im dritten Lehrjahr beim in Siemensstadt ansässigen Familienunternehmen Henning und Quadde. Sein Betrieb ist Teil der Berliner Ausbildungsinitiative »Sei Dual«. Das von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales geförderte Programm versuchte sich in diesem Jahr, in dem die Pandemie die Vermittlung von Ausbildungsplätzen erheblich erschwert hat, an einem neuen Format: 25 Betriebe stellten sich am Mittwoch und am Donnerstag mit ihren Ausbildungs- und Praktikumsangeboten komplett virtuell im Internet vor. 15 davon gingen sogar via Livestream im 20-Minuten-Takt online und waren für interessierte Schüler*innen per Chat erreichbar.
Auch Civan Ucar, der am Savignyplatz in Charlottenburg einen Friseursalon betreibt, kann man sich als Chef gut vorstellen, wenn man ihm im Videolivechat dabei zuschaut, wie er mit Maske durch den Salon läuft und dabei alle Fragen - die Schlag auf Schlag kommen - ernsthaft und mit Humor zugleich beantwortet: Sind die Abschlussprüfungen schwer? Welches Sprachniveau braucht man? Nun, etwas Deutsch sollte man schon sprechen, meint Ucar, aber die Kundschaft sei ja auch international. »Wenn man mal was nicht schafft: ihr seid noch jung, keine Panik«, sagt der passionierte Friseur, wobei sich hinter seiner Maske ein Lächeln erahnen lässt. »Wenn du mal einen halben Millimeter zu viel abschneidest: Haare wachsen wieder, kein Problem«, nimmt er einer anderen Jugendlichen die Sorge ab, dass man in der Ausbildung zu viele Fehler machen und sie dann nicht erfolgreich abschließen könnte.
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Auch André Dankwart erklärt freundlich, warum er sich für die Ausbildung zum Brunnenbauer entschieden hat: »Ich fand Geologie interessant und man kommt viel rum, keine Baustelle ist wie die andere.« Weil es nur zwei Ausbildungsstätten in Deutschland gibt, kämen die Leute, die den Beruf gewählt haben, aus allen möglichen Ecken, auch das gefällt Dankwart. Dann beschreibt er noch fix, wie ein Brunnen mit welchen Gerätschaften gebohrt wird und welche Voraussetzungen man am besten mitbringt: »Man muss teamfähig, pünktlich und sportlich sein - und sich auch mal dreckig machen können«, lacht der Brunnenbauer in spe in die Kamera. Baustelle fetzt. Im Hintergrund vom Clip läuft dazu ziemlich knallige Rockmusik - passt.
Was sich hier in den virtuellen Raum verlagert, wirkt in Zeiten, in denen Jugendliche oft mehr Zeit im Internet als in realen Begegnungen verbringen - von der Schule einmal abgesehen - nicht verkehrt: die Videobotschaften von Ausbildern erscheinen als persönliche Ansprache. Per Sedcards können Betrieb und Schüler*innen direkt ihre Kontakte austauschen.
Nicht immer läuft der Livestream stabil und in den Pausen zwischen den einzelnen Betriebsauftritten wird es merklich unruhig bei den Kids: »Kommt jetzt noch was?«, fragt öfter jemand. Vor allem Mädchen trauen sich, viel zu fragen, sei es den Friseur Ucar, aber auch den Pflasterer vom Betrieb Franz Wickel, der live mit Headset bei der Arbeit erklärt, dass man zu zweit für 14 Quadratmeter Steinsetzarbeiten einen Tag bräuchte. Nein, Mädchen würden bisher im Betrieb nicht ausgebildet, gibt er zu.
Nicht alles an dem Konzept ist neu: Das »Sei Dual«-TV-Format, bei dem in kurzen Clips Ausbildungsstandorte besucht und durch Azubis vorgestellt werden, gab es schon vor Beginn der Pandemie. Allerdings war es bislang eher ein Begleitprogramm zu Präsenzveranstaltungen wie Berufsberatungen und Ausbildungsmessen. Das könnte sich nun ändern. Haben sich im vergangenen Jahr im November noch Hunderte von Schüler*innen in der Tempelhofer Ufa-Fabrik auf der Messe für eine duale Berufsausbildung dicht um Informationsstände gedrängt, musste in diesem Jahr alles ausfallen, was zu viel Infektionsgefahr birgt. Und hat so die stadtweit ohnehin schon schwierige Vermittlung von Berufsqualifikation weiter erschwert.
Was das Format nicht lösen kann, ist das Problem des mangelnden »Matchings«, also wenn Azubi und Betrieb kurz nach Ausbildungsbeginn merken, dass sie doch nicht zusammen passen und den Vertrag auflösen. damit das nicht passiert, ist ein persönliches Gespräch, ein Kennenlernen und Aufeinanderzugehen unersetzbar. Aber vielleicht lässt sich auch das künftig virtuell bewerkstelligen - zumindest für die Jugendlichen, die Zugang zum Internet haben, wenn sie ihn brauchen. Dann können sich auch die trauen, zu fragen, die sonst hinten runterfallen.
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