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Asylskandal fällt auf Skandalisierer zurück
Von Bremer »Manipulationen« bleibt nicht viel - fragwürdige Entscheidungen in Sachsen folgenlos
Es ist das Schicksal politischer Skandale, dass sie sich in der Rückschau relativieren. Ein besonders anschauliches Beispiel liefert jener Bremer BAMF-Skandal (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), der im Jahr 2018 wochenlang die Öffentlichkeit beschäftigte, weil angeblich Flüchtlinge zu Tausenden unberechtigt einen Schutzstatus in Deutschland zugesprochen bekamen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) präsentierte sich als unerbittlicher Aufklärer und entließ die Amtsstellenleiterin.
Längst ist erwiesen, dass von den Vorwürfen angeblicher Machenschaften der Bremer Behörde und mehreren Anwälten im Kern nichts blieb. 13 000 Asylverfahren wurden geprüft. Eine Sonderkommission mit 36 Beamten ermittelte über 15 Monate - um Belege für angeblich 121 Straftaten zu finden. Flüchtlinge vor Abschiebung bewahrt oder deren Aufenthaltsstatus verbessert zu haben, lautete der Vorwurf. Dabei wusste man, dass die angeblich illegalen Nutznießer mehrheitlich Jesiden waren. Diese erhielten bundesweit in aller Regel einen Schutzstatus - der Vorwurf unsachgemäßer Verfahren verdiente von vornherein nicht die Aufregung, die ja aus dem Verdacht resultierte, Flüchtlinge hätten Schutz erhalten, der ihnen nicht zustand.
In der vergangenen Woche entschied das Bremer Landgericht, welche der ursprünglichen Anklagepunkte nun tatsächlich verhandelt werden sollen. Gegen einen von drei Beschuldigten, einen Rechtsanwalt, wird das Hauptverfahren nicht eröffnet, gegen die frühere Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamtes wird wegen 14 Vorwürfen verhandelt, gegen einen weiteren Anwalt wegen acht Fällen. Die Angeklagten können dem Verfahren noch widersprechen, und ohnehin ist sein Ausgang offen. Die Verteidigung kündigte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa bereits an, in allen Punkten zu widersprechen - man sehe sich in seinen »rechtlichen Bedenken gegen das Verfahren an sich und die Anklage« bestätigt.
Schon die Staatsanwaltschaft Bremen hatte von den ursprünglich angeblich rund 1200 Verfahren nur noch 121 vor Gericht gebracht. Welch schmerzlicher Weg der Erkenntnis dabei beschritten wurde, zeigt sich nun in einem Bericht aus dem Ermittlerteam. Nach Informationen von NDR und »Süddeutscher Zeitung« wandte sich ein anonymer Hinweisgeber im Juni an das Landgericht, um schwere Vorwürfe gegen seine Ermittlerkollegen zu erheben. Diese hätten die Untersuchungen einseitig geführt und entlastende Dokumente nicht berücksichtigt, wird in Medienberichten über das Schreiben des Whistleblowers nun kolportiert. Als sich im Laufe der Ermittlungen der Verdacht der Rechtsverstöße nicht bestätigte, habe sich in der Ermittlungsgruppe »Verzweiflung« breit gemacht, soll es in dem Schreiben wörtlich heißen.
Diese Verzweiflung ist nur mit dem politischen Druck zu erklären, der auf den Ermittlern lastete. Hatte doch das Bundesinnenministerium und dessen Chef, Horst Seehofer, persönlich frühzeitig und öffentlich Position gegen die Bremer BAMF-Behörde und ihre Leiterin bezogen und strengste Aufklärung angekündigt - was einer Vorverurteilung gleichkam. Seehofers Furor erklärt sich nicht zuletzt aus der zu dieser Zeit noch nachwirkenden Auseinandersetzung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Flüchtlingspolitik. Der Bremer »Skandal« stützte scheinbar und nachträglich Seehofers Vorwurf, dass die Einwanderung von Migranten die politische Stabilität Deutschlands gefährde und das Land in einen rechtlosen Zustand zu kippen drohe. Dass die Vorwürfe Rechtsbruch erst produzierten, wurde offenkundig in Kauf genommen.
Rechtlich fragwürdig ist es auch, dass einzelne Asylbehörden offensichtlich so oft falsch liegen, dass Gerichte ihre negativen Bescheide regelmäßig wieder aufheben müssen. Ein Einspruch der Bundesregierung ist hierzu bisher nicht erfolgt. Bei 71,6 Prozent (bis Juli 2020) lag der Anteil von Gerichtsentscheidungen, die die Bescheide für abgelehnte Bewerber aus Venezuela korrigierten. Venezolaner bilden mit sieben Prozent die drittgrößte Geflüchtetengruppe in der EU, in Deutschland laufen ihre Verfahren vor allem in Sachsen. Dort aber differiert das Bild erheblich - während in Chemnitz die sogenannte bereinigte Schutzquote bei 64,4 Prozent liegt, wird in Leipzig nur in 13,7 Prozent der Fälle pro Antragsteller entschieden. Zum Teil werde auf veraltete Lageberichte zurückgegriffen, moniert der Flüchtlingsrat. Zu einer Intervention des Bundesinnenministeriums führte dies bisher nicht.
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