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Berlins fast vergessene Filmstadt

Vor 100 Jahren nahmen die »Johannisthaler Filmanstalten« (Jofa) ihren Betrieb auf. Ein Buch berichtet über die Geschichte des Ortes

  • Klaus Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Treptower Stadtteil Johannisthal erinnert seit Kurzem eine Gedenktafel an einen bedeutenden deutschen Medienstandort: die Jofa. Ursprünglich befanden sich hier zwischen Segelfliegerdamm und Adlershof der erste Motorflugplatz (ab 1909) und der größte Luftrüstungsstandort Deutschlands (bis 1914). Weil nach dem I. Weltkrieg das Deutsche Reich keine Flugzeuge mehr bauen durfte, standen die Hangars und Werkhallen leer. 1919 wurden sie zum damals größten Kunstlicht-Filmatelier der Welt umgebaut. Die Filmemacher mieteten sich ein und fanden dort alles, was sie brauchten: Beleuchtung, Requisiten, Technik, Werkstätten, Kostümfundus, Garderoben, Maskenbild, Handwerk, Gärtnerei, ein Musterkopierwerk, Vorführräume, Freiflächen und eine Kantine.

Der erste Stummfilm, der ab Ende Mai 1920 in den Johannisthaler Filmanstalten gedreht wurde, hieß »Verkommen«, ihm folgte das Sensations- und Zirkusdrama »Der Sturz in die Flammen«. Gekurbelt wurden in den Jofa gleichzeitig die ersten Karl-May-Filme. Und der Kinostar Asta Nielsen produzierte hier und spielte die Titelrolle Hamlet. Auch »Nosferatu« geisterte 1922 durch die Johannisthaler Ateliers. Als letzter Stummfilm kam 1929 der realistische Film von Heinrich Zille »Mutter Krausens Fahrt ins Glück« heraus.

Der erste verbürgte Jofa-Tonfilm war »Die Nacht gehört uns« (1929) mit Hans Albers. 1932 wurden die Innenaufnahmen für »Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?« mit Ernst Busch gedreht.

Ab März 1933 erklang »Ein Lied geht um die Welt« mit dem Tenor Joseph Schmidt. Noch in der Nacht nach der Premiere am 9. Mai in Berlin verließ Publikumsliebling und Schallplattenstar Joseph Schmidt, weil er Jude war, aus Angst vor den Nationalsozialisten das »Großdeutsche Reich«.

Mit der NS-Gleichschaltung der deutschen Filmbranche unter Kontrolle von Reichspropagandaminister Goebbels übernahm die Terra-Film die Jofa - nach der Ufa-Stadt Neubabelsberg zweitgrößte deutsche Filmproduktionsstätte. Emil Jannings, Heinrich George, Harry Piel, Luis Trenker, Leni Riefenstahl, Magda Schneider, Käthe Haack, Vera Tschechowa, Lilian Harvey, Willy Fritsch, Johannes Heesters, Theo Lingen und fast alle anderen Stars wie Kleindarsteller arbeiteten nun hier mit Produzenten, Drehbuchschreibern, Komponisten, Kameramännern, Spielleitern, die wie sie, nicht Hitlers Rassenpolitik und Judenverfolgung befürchten mussten.

Braunhemden marschierten für den Horst-Wessel-Film »Hans Westmar« (1939) auf. Heinz Rühmann machte »Allotria« (1936) und mimte »Der Mustergatte« (1937). Gustaf Gründgens brillierte in »Tanz auf dem Vulkan« (1938). Zur gleichen Zeit entstand das Lustspiel »Es leuchten die Sterne«, das Einblicke in den Jofa-Alltag auch hinter der Kamera gab. 1943 ging hier sogar die »Titanic« unter! Von 1933 bis 1944/45 flimmerten knapp 300 Filme aus Johannisthal über die Leinwände der Kinos.

Nach dem Krieg begann der Wiederaufbau zerstörter Gebäude, die Defa zog ein, baute ein Filmkopierwerk und ein Schneidehaus. Und es wurde weiter gedreht. Als Erstes ging der in der Kriegstrümmer-Hauptstadt spielende Kinder- und Jugendfilm »Irgendwo in Berlin« Mitte Juni 1946 ins Johannisthaler Atelier. Uraufführung war am 18. Dezember im Admiralspalast.

Gleichzeitig begann durch die noch ansässige Tobis-Filmkunst GmbH die deutsche Synchronisation von russischsprachigen Filmen; erster war das sowjetische Werk von Sergei Eisenstein »Iwan der Schreckliche«. Lustspiele, Dokumentar- und Märchenfilme folgten: »Wolga, Wolga«, »Stalingrad«, »Die schöne Wassilissa«.

Ab Herbst 1946 übernahm das Defa-Synchronstudio. Als Kind stand übrigens auch der in der Nähe wohnende Gregor Gysi manchmal als Sprecher auf der Besetzungsliste, wie er der Lokalzeitung »Berliner Woche« erzählte: »Eines Tages kamen Mitarbeiter des Defa-Synchronstudios an unsere Schule. Wir mussten was vorsprechen, und einige wurden als Synchronsprecher ausgewählt. Da habe ich als Zehnjähriger richtige Gage bekommen. Die wurde nach jedem Einsatz bar an uns ausgezahlt. Erst als die Betreuer bemerkten, dass ich mich nach den Aufnahmen mit einer Taxe nach Hause chauffieren ließ, wurde das Geld künftig meiner Mutter gegeben.«

Bis 1961 drehte die Defa in Johannisthal über 40 Spielfilme. Drehbeginn für den letzten Johannisthaler Defa-Spielfilm »Das verhexte Fischerdorf« war im August 1961, Premiere zu den Sommerfilmtagen 1962 im Berliner »Filmtheater am Friedrichshain«.

Der Deutsche Fernsehfunk aus dem benachbarten Adlershof nutzte fortan die Ateliers. Gedreht wurden Filme der Reihe »Polizeiruf 110«, auch »Wege übers Land« (1968) und »Geschlossene Gesellschaft« (1978). Ende der 60er Jahre wurde das Jofa-Gelände für die Produktion und Gestaltung des DDR-Farbfernsehens mit neuen Gebäuden, Elektronik sowie MAZ-Technik erweitert.

Mit dem Ende der DDR wurde auch in Johannisthal langsam abgeblendet - nach über 70 Jahren Filmgeschichte war Schluss mit ernst und lustig. Laut Einigungsvertrag wurden die ansässigen Betriebe nur noch als »Einrichtung« bezeichnet, die samt Personal »abgewickelt« werden mussten. Die Mitarbeiter von Deutscher Fernsehfunk und Studiotechnik Fernsehen der Deutschen Post wurden entlassen. Anfang der 90er Jahre kamen Gelände, Gebäude und Inventar in den Besitz der westdeutschen Kirch-Gruppe. Man beseitigte nicht mehr benötigte Gebäude. Als Rudiment arbeitete die DEFA-Synchron GmbH weiter, wurde zur Johannisthal-Synchron - 2004 liquidiert.

Heute erinnern wenige historische Häuser noch an die einstige Film- und Medienstadt Jofa in der Straße am Flugplatz 6 a. Einige kleinere Firmen, Kanzleien, Büros, Handwerker, Arztpraxen und ein Hotel gibt es.

Anlässlich »100 Jahre Jofa« ist nun ein in Wort und Bild ausführliches Buch am Ort des Geschehens erschienen: Berlins vergessene Traumfabrik - Johannisthaler Filmgeschichte(n). Eine lobenswerte Fleißarbeit von alten Johannisthalern voller Fakten, Dokumenten, Episoden.

Wolfgang May: Berlins vergessene Traumfabrik. Johannisthaler Filmgeschichte(n). Kulturring in Berlin e. V., 257 S., zahlr. Abb., 20 €.

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