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Per App auf den Spuren der Mauer
Die Geschichte des »Antifaschistischen Schutzwalls« lässt sich auf einem Spaziergang per App nacherleben.
Seinen ersten Jahrestag hatte der Mauerfall vor 30 Jahren. Inzwischen ist eine ganze Generation aufgewachsen, die die geteilte Stadt nicht mehr miterlebt hat. Wie die Mauer das Leben der Bewohner verändert hat, welche Schicksale sie erlebt haben, erfahren die Jüngeren heute aus den Erzählungen ihrer Eltern, Großeltern oder im Schulunterricht. Nur die letzten Stücke an der East Side Gallery vermitteln einen Eindruck der einst streng bewachten Betonwand. Wo und wie sie die Stadt 28 Jahre lang teilte, ist für Besucher wie für viele Berliner schwer nachvollziehbar. Doch es gibt noch eine andere Möglichkeit, die Geschichte Berlins fast live zu erleben: per App auf dem Smartphone oder auf dem Tablet.
Dabei sind es vor allem die Geschichten der Menschen, die den Nutzern ein wichtiges Stück Zeitgeschichte näherbringen. So kann man mit der App »Mauerschau« von der gleichnamigen Medienproduktion auf einer Tour den abenteuerlichen Fluchtversuch von Holger Klein verfolgen. Er flüchtete 1964 im Alter von 17 Jahren aus der DDR und gehört zu einer Gruppe von Schülern, die es innerhalb weniger Wochen einer nach dem anderen nach West-Berlin schafften. Ihre Flucht erfolgte mit dem Zug vom Grenzbahnhof Friedrichstraße, einem von Stasi-Mitarbeitern und Grenzsoldaten stark bewachten Bahnhof.
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In einem App-Film nimmt uns Holger Klein mit auf seinen abenteuerlichen Fluchtweg. Auf einer dreißigminütigen Tour kehren wir mit ihm in das Jahr 1964 zurück. Auf einer anderen Tour entlang der ehemaligen Mauer kann man die Fotografien eines Grenzsoldaten betrachten. Auch der legendäre Tunnelbau von Wedding in den Stadtbezirk Mitte wird von Zeitzeugen veranschaulicht. Die App begleitet auch zum Checkpoint Charlie und gibt Einblick in die Erlebnisse des DDR-Grenzsoldaten Heinz Schäfer. Am alliierten Kontrollpunkt an der Friedrich-, Ecke Zimmerstraße standen sich im Oktober 1961 amerikanische und sowjetische Panzer gegenüber. Die SED-Führung hatte versucht, die Rechte der Westalliierten einzuschränken. Es war einer der brenzligsten Momente im Kalten Krieg, der die Welt den Atem anhalten ließ. Ein Hauptmann der DDR-Grenzsoldaten versah damals am Checkpoint seinen Dienst und stand den amerikanischen Panzern gegenüber - heute erzählt er auf dieser Tour seine persönlichen Erlebnisse von diesem geschichtsträchtigen Moment. Fotografien aus seinem Privatbesitz, die von einem Kameraden aufgenommen sowie kommentiert wurden, ergänzen Schäfers Eindrücke und dokumentieren den Konflikt der zwei Supermächte. Darüber hinaus berichtet die App per Film und Video auf verschiedenen Touren über die Rolle und die Geschichte des Brandenburger Tores und anderer Orte und Bauwerke. Durch Wischen oder Anklicken zeigt die App, wo man sich gerade befindet und welche Touren und Berichte angeboten werden.
Die Geschichte erlebbar macht auch die App »Die Berliner Mauer«: eine Koproduktion vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, der Bundeszentrale für politische Bildung und Deutschlandradio. Sie bietet ebenfalls verschiedene Touren mit einer Dauer von 30 bis 90 Minuten und bis zu 13 Stationen, beispielsweise vom Checkpoint Charlie bis zum Potsdamer Platz, vom Hauptbahnhof bis Liesenstraße und von der Glienicker Brücke bis zum Postenturm Bertinistraße. Die Touren kann man anhand einer mitlaufenden Karte verfolgen. Zu den einzelnen Stationen bietet die App historische Fotos, Textinformationen und Radio-Reportagen. Im Menü findet man in der Chronik Informationen und Filmdokumente über wichtige Ereignisse wie den Mauerbau, das erste Todesopfer, Ausreise im Sonderzug, Mauerfall und die deutsche Einheit.
Wer mit der App »MauAR« die Strecke der ehemaligen Mauer verfolgt, blickt zudem noch auf andere Weise in die Geschichte zurück. So zeigt der Bildschirm beispielsweise einen versperrten Weg zum Brandenburger Tor. »Achtung! Sie verlassen jetzt West-Berlin«, warnt ein Schild. Eine virtuelle Mauer verstellt die Sicht zum ehemaligen Ost-Berlin und sieht dabei erstaunlich echt aus. Auch vorbeifahrende Autos und Personen auf der Seite des Pariser Platzes verschwinden auf dem Handy hinter der Mauer. Mit der App wird das Smartphone zum Zeitfenster in die Vergangenheit. Realisiert wird diese Zeitreise mithilfe modernster Technologie: Durch Augmented Reality und GPS-Lokalisierung erscheint die Mauer wieder dort, wo sie einmal war. Aus allen Perspektiven kann man die Mauer durch das Smartphone betrachten, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt springen und dabei beobachten, wie aus einem Stacheldraht der hohe Betonwall wird. Historische Videos, Fotos und Tonaufnahmen an den zugehörigen Orten vermitteln einen Eindruck von der geteilten Stadt.
Anhand der Geschichten der fiktiven Figuren Andreas auf der Westseite und Johanna in Ost-Berlin ist es mit der App möglich, die Teilung zu erleben und zu verstehen. Dutzende Interviews mit Zeitzeugen auf beiden Seiten der Mauer wurden geführt und aus originalen Erzählungen die Biografien von Johanna und Andreas geschaffen.
Entwickelt haben die App die beiden Tüftler Peter Kolski und Sebastian Strauß. Die Idee entstand vor drei Jahren während des Hackathons »Coding Da Vinci«, eines Wettbewerbs bei dem Programmieren und Kunst zusammenkamen. Die beiden Entwickler haben einen persönlichen Bezug zur Mauer. Geboren 1980 und 1981, sind sie im Westen in Reinickendorf nahe der Grenze aufgewachsen. Sie erinnern sich an die Aussichtsplattformen, von denen sie als Kinder Richtung Osten geschaut haben. Strauß’ Vater war einst in den Westen geflohen, dessen Eltern in Ost-Berlin geblieben. Kolski und Strauß klopften als Kinder Mauerteile ab und spielten im ehemaligen Todesstreifen.
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