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Kernschmelze am Lagerfeuer
Für die spürbar zunehmende Abneigung gegenüber der deutschen Fußballnationalmannschaft und ihren Trainer gibt es genügend gute Gründe.
Umfragen sind ein durchaus geeignetes Mittel, um Meinungsbilder zu erstellen. Und sie können hilfreich sein, um auf Entwicklungen zu reagieren. Nimmt man die jüngsten Werte zur Nationalmannschaft von Mitte Oktober, wartet auf die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes und ihren Trainer viel Arbeit. Bei einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Civey unter 2025 sportbegeisterten Personen gaben knapp 65 Prozent an, dass ihr Interesse am DFB-Team nach der WM 2018 »eher gesunken« ist, bei fast 39 Prozent ist es »eindeutig gesunken«. Ebenfalls repräsentativ wurde die Umfrage der App »FanQ« durchgeführt. Dort antworteten 76,5 Prozent von 1052 Fußballfans mit »Nein«. Die Frage lautete, ob Joachim Löw noch der richtige Bundestrainer sei. Und fast 50 Prozent bewerteten das Image des Nationalteams als »schlecht« oder »sehr schlecht«.
Entscheidend für Veränderungen ist die Interpretation von Umfragewerten und der Umgang mit ihnen. Joachim Löw hat sich festgelegt. »Der Puls der Meinungen hängt von Ergebnissen ab«, meint der Bundestrainer. Dass er sich als sportlich Verantwortlicher auf diesen Bereich beschränkt, ist nicht verwerflich. Und Löw hat auch nicht unrecht. Allerdings hat er die Messlatte mit dem WM-Titel 2014 so hoch gelegt, dass selbst ein Halbfinalaus wie bei der EM zwei Jahre später in der Wahrnehmung mehr Scheitern als Erfolg ist. Ernüchternd war die weitere Entwicklung: Das Aus in der Vorrunde 2018 war das schlechteste Abschneiden eines deutschen Teams bei einer WM. Die Premiere in der Nations League ging ebenfalls gründlich daneben, nur eine Aufstockung der Teilnehmer verhinderte den Abstieg in die B-Gruppe.
Kleine Siege, wie das 1:0 am Mittwochabend in Leipzig beim Freundschaftsspiel gegen Tschechien, taugen nicht zur Klimaverbesserung. Auch Erfolge in der Nations League, am Sonnabend gegen die Ukraine und drei Tage später in Spanien, würden nicht reichen. Erst recht nicht, wenn das ganze Land im Lockdown Verzicht üben muss und die Auswahlfußballer in leeren Stadien spielen. Dass die Atmosphäre bei Länderspielen noch steriler und künstlicher sein kann, hätte vor einem Jahr auch noch keiner gedacht. Aber dafür ist ein Virus verantwortlich.
Anderes ist selbst verschuldet. »Ich bin lange dabei.« Mit diesen Worten eröffnete Joachim Löw seine Analyse zu den Gründen des eigenen Umfragetiefs und des Imageproblems seiner Mannschaft, um dann als Allheilmittel bessere Ergebnisse zu versprechen. Da war er wieder, der selbstgefällige Weltmeistertrainer, der nach eigener Aussage »im 15. Amtsjahr inzwischen über den Dingen« stehe. Das Fachmagazin »kicker« bezeichnet ihn als »arrogant«. Löw lebe schon länger in seinem eigenen Kosmos, äußerten Weggefährten 2018. Die WM in jenem Jahr zeigte, wohin Kritikunfähigkeit und Beratungsresistenz führen können. »Wir waren überzeugt, es geht schon gut, wenn das Turnier losgeht«, hatte Löw nach dem desaströsen Scheitern eingestanden.
Das neue Ziel lautet: Halbfinale bei der EM im kommenden Sommer, mindestens. Das ist nicht weltfremd. Joachim Löw ist ein guter Trainer und hat einen guten Kader. Man muss auch nicht jede öffentliche Abrechnung unterschreiben, die nicht selten von abgetakelten Altinternationalen kommt, die beispielsweise bei jedem Abwehrfehler die Rückkehr von Mats Hummels und Jerome Boateng fordern. Löw hat Prinzipien und eine Philosophie - wie jeder ernstzunehmende Coach. Die Art aber, wie er Kritiker abkanzelt, ist nicht souverän, sympathisch schon gar nicht: »Wir ziehen unseren Plan durch.« Ein gut gebräunter, basisferner Fußballtrainer mit perfekt sitzender Frisur und schickem Rollkragenpulli, der demonstrativ Espresso trinkt, kommt in Zeiten des Misserfolgs bei Fans nicht gut an.
Die Abneigung gegen Löw und dessen Team wäre wahrscheinlich nicht ganz so groß, wenn analog zum sportlichen Abstieg nicht die Marketingmaschine umso lauter dröhnen würde. »Die Mannschaft« - seit gut fünf Jahren firmiert die DFB-Auswahl unter diesem Namen. Als »Markenkern« hatte Oliver Bierhoff die neue »Wort-Bild-Marke« damals vorgestellt. Die Kernschmelze ist auch ihm nicht entgangen. »Wir sind nicht mehr der Deutschen liebstes Kind«, musste der DFB-Direktor jüngst einräumen. Ein letzter Beweis dafür: Nur 5,5 Millionen Fernsehzuschauer wollten das Spiel gegen Tschechien am Mittwochabend sehen - ein Tiefpunkt des nachweislich seit Jahren sinkenden Interesses. Es helfe nicht irgendein neuer Slogan, um verlorene Gunst zurückzugewinnen, meint Bierhoff. Klingt nach Erkenntnisgewinn. Ist es aber nicht. Statt Ergebnisse der Civey-Umfrage ernst zu nehmen, bei der fast 50 Prozent der Befragten »die Kommerzialisierung rund um das DFB-Team« als Hauptgrund ihrer Abneigung nannten, beschränkt sich auch Bierhoff aufs Sportliche. Neben der Hoffnung, mit neuen Erfolgen alte Euphorie zu wecken, macht er auch noch die allzu kritische Berichterstattung mit ihrer »falschen Tonalität« für den Imageverlust mit verantwortlich und fordert einen »positiven Spirit«.
Diese Selbstverständlichkeit, mit der eine naturgegebene und unantastbare Führungsrolle beansprucht wird, wirkt zusätzlich abstoßend. Vom »letzten Lagerfeuer der Gesellschaft« sprechen die Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes gern. Auch der neue, Fritz Keller. Coronakrise, Steueraffäre, Führungsstreit: Mit seinem Verhalten reiht er sich nahtlos in die alte Funktionärsriege ein.
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