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+++ Zahl der Selbstständigen mit Grundsicherungsbezug um 1000 Prozent gestiegen ++++

Der Newsblog zur Coronakrise - Sonntag, 15. November 2020: +++ Bayerischer Flüchtlingsrat: Politik nimmt Ketteninfektionen «billigend in Kauf» +++ Fast 17.000 Neuinfektionen gemeldet +++

  • Lesedauer: 7 Min.

Osnabrück. Die Zahl der Selbstständigen, die wegen der Corona-Beschränkungen zwischenzeitlich Grundsicherung beziehen mussten, ist seit dem Frühjahr massiv in die Höhe geschossen. Von April bis September meldeten sich 81.100 Selbstständige neu Arbeit suchend und bezogen zumindest vorübergehend Grundsicherung - das waren 73.104 mehr als im Vorjahreszeitraum, wie aus von der Linksfraktion angefragten Daten der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht, über die die «Neue Osnabrücker Zeitung» berichtete.

Das ist ein Anstieg von 1014 Prozent. Die meisten der betroffenen Selbstständigen arbeiten den Daten zufolge in Lebensmittel- und Gastgewerbeberufen, sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen (jeweils rund ein Fünftel) sowie in Gesundheitsberufen (rund 16 Prozent). «Inhaberinnen und Inhaber kleiner Unternehmen und Solo-Selbstständige waren schon vor Corona häufig arm. Die Corona-Pandemie trifft sie zusätzlich sehr hart, besonders im Kultur- und Gaststättenbereich», sagte Linken-Sozialexpertin Sabine Zimmermann der «Neuen Osnabrücker».

Die bisherigen Unterstützungsleistungen reichten nicht aus, monierte Zimmermann. «Nötig wäre vor allem ein fiktiver Unternehmerlohn in Höhe von 1200 Euro, der den Lebensunterhalt sichert, ohne dass die betroffenen Selbstständigen Hartz IV beziehen müssen.» Mittelfristig brauche es aber eine Lösung innerhalb des Sozialversicherungssystems. Die Pandemie habe gezeigt, «dass Selbstständige wirtschaftlichen Einbrüchen schutzlos ausgesetzt sind, weil die meisten nicht arbeitslosenversichert sind», sagte die Linken-Abgeordnete. «Sie müssen zu vernünftigen Bedingungen in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung einbezogen werden.»

+++ Altmaier warnt vor Lockerungen - und erwartet Einschränkungen über längere Zeit +++

Kurz vor den Beratungen von Bund und Ländern zum weiteren Umgang mit der Corona-Pandemie hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eindringlich vor zu frühen Lockerungen gewarnt. «Zur Zwischenbilanz gehört auch, dass die Infektionszahlen nach wie vor viel zu hoch sind. Sehr viel höher sogar als vor zwei Wochen», sagte Altmaier der «Bild am Sonntag. »Trotz aller Anstrengungen ist eine Wende zum Besseren noch nicht erreicht«, sagte er. »Wir müssen handeln, sonst verlieren wir den Kampf gegen das Virus.«

Für das Öffnen von Restaurants und Kinos sieht der Minister deshalb aktuell »wenig Spielraum«. »Wir sind aus dem Gröbsten noch nicht raus.« Ziel müsse es sein, die Infektionswelle nachhaltig zu brechen. »Einen Jo-Jo-Shutdown mit ständigem Öffnen und Schließen der Wirtschaft können wir uns nicht leisten.« Die Bundesregierung sorge dafür, dass die am härtesten Betroffenen umfassende Hilfe bekommen - »egal, wie lange die Einschränkungen andauern und egal, was die nächsten Wochen und Monate bringen«.

Altmaier rechnet damit, dass sich die Bürger noch weit über den Dezember hinaus einschränken müssen. »Wir werden zumindest in den nächsten vier bis fünf Monaten mit erheblichen Vorsichtsmaßnahmen und Einschränkungen leben müssen«, sagte er. Als Negativ-Beispiele nannte er die Situation in den europäischen Nachbarstaaten, die zu frühe Lockerungen mit Menschenleben teuer bezahlt hätten. »Wenn wir nicht Tage mit 50.000 Neuinfektionen, wie zum Beispiel vor einigen Wochen in Frankreich, haben wollen, müssen wir durchhalten und nicht ständig darüber spekulieren, welche Maßnahmen man wieder lockern kann.«

Die Regierungschefs von Bund und Ländern wollen am Montag eine Zwischenbilanz der Beschränkungen ziehen, die sie vor knapp zwei Wochen im Kampf gegen die Pandemie beschlossen hatten. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am Freitag Hoffnungen auf baldige Lockerungen der Maßnahmen gedämpft.

+++ Vielen Arztpraxen fehlt Grippeimpfstoff +++

Im Windschatten der Debatte über künftige Corona-Impfstoffe fehlt in zahlreichen Arztpraxen in Rheinland-Pfalz der Grippe-Impfstoff. »Der Run auf die Praxen ist groß«, sagte Barbara Römer, Vorsitzende des Hausärzteverbands im Land, der Deutschen Presse-Agentur. »Wir warten sehnsüchtig auf Nachschub.« Der Sprecher des Apothekerverbands Rheinland-Pfalz, Frank Eickmann, erklärte: »Das ist sicher ein echter Stressfaktor in den Arztpraxen. Auch in den Apotheken schimpfen viele, dass kein Grippe-Impfstoff mehr da ist.« Jedoch sei die Situation regional sehr unterschiedlich: »Viele Apotheken haben durchaus noch Impfstoff, andere aber nicht.«

In diesem Herbst macht das Nebeneinander von Corona- und Grippeviren den Gesundheitsexperten Sorgen. Eine starke Grippewelle in Zeiten der Corona-Pandemie könnte Praxen und Kliniken stark beanspruchen. Ärzte und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) empfehlen die Grippeimpfung vor allem Risikogruppen wie Senioren, chronisch Kranken und Schwangeren, aber auch Krankenschwestern und Pflegern. Superinfektionen mit anderen gefährlichen Erregern sollen vermieden werden. Laut der Ärztin Römer mit einer Praxis im rheinhessischen Saulheim führt all das dazu, dass sich in dieser Grippesaison sicherlich 70 bis 80 Prozent statt wie früher nur 35 bis 40 Prozent aller Bürger von Risikogruppen impfen ließen. Anders als in manchen früheren Jahren hat sich inzwischen auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte für Grippe-Impfungen seiner Klientel ausgesprochen.

+++ Bayerischer Flüchtligsrat: Politik nimmt Ketteninfektionen »billigend in Kauf« +++

Der Bayerische Flüchtlingsrat hat der Politik vorgeworfen, die Gesundheit von Bewohnern der Ankerzentren in der Corona-Krise leichtfertig aufs Spiel zu setzen. »Ein erfolgreicher Infektionsschutz ist nur durch massives Reduzieren der Belegung von Unterkünften zu erreichen. Doch das fand und findet nicht statt«, erklärte Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. So würden Ketteninfektionen von Geflüchteten »billigend in Kauf« genommen.

In Traunstein, Deggendorf, Nürnberg oder Mering bei Augsburg - immer wieder stünden Unterkünfte komplett unter Quarantäne, kritisierte der Flüchtlingsrat. Trotz hoher Infektionszahlen würden Mehrbettzimmer weiter aufgefüllt und Bewohner kaum informiert. Aus den Lagern in Mering und Nürnberg beispielsweise werde berichtet, »dass es unmöglich ist Abstand zu halten und es viel zu wenig Platz für zu viele Personen gibt.« In der Nürnberger Einrichtung Beuthener Straße würden sich knapp 30 Personen zwei Toiletten und Duschen teilen.

Tatsächlich sei die Einrichtung in der Beuthener Straße nur zu rund 30 Prozent ausgelastet, teilte ein Sprecher der Regierung von Mittelfranken mit. »Sanitärräume werden mehrmals täglich durch eine Reinigungsfirma gereinigt und desinfiziert«. Entgegen der Behauptungen des Flüchtlingsrats würden die Bewohner außerdem »regelmäßig ausführlich und mehrsprachig« über die Corona-Maßnahmen informiert.

Doch die Kritik des Flüchtlingsrates wächst, die Vorwürfe mehren sich. In Weiden sei aus Sorge vor einer Ansteckung kürzlich ein Konflikt eskaliert, in Weismain seien Bewohner in Quarantäne ein Wochenende lang nicht mit Lebensmitteln versorgt worden und in Bamberg würden Neuankommende in derselben Wohneinheit wie Bewohner in Quarantäne untergebracht. Die Bezirksregierungen wiesen die Vorwürfe zurück.

Nun berichtete ein Bewohner des Ankerzentrums Mering dem Flüchtlingsrat, dass sein Zimmer kurz vor dem ersten Corona-Fall in der Einrichtung von drei auf fünf Personen aufgestockt worden sei. »Der Abstand von 1,5m konnte noch nicht einmal zwischen den Betten eingehalten werden«, wird der Mann zitiert. Nun seien er und mehr als 20 Mitbewohner positiv getestet worden. »Die Regierung hat Corona selbst in das Anker-Zentrum gebracht.«

Weil manche Unterkünfte unter Quarantäne stünden, müssten noch offene Einrichtungen neue Bewohner aufnehmen. »In der Folge können wir die Zimmer nicht immer so belegen, wie dies in Zeiten der Corona-Pandemie wünschenswert wäre«, räumte ein Sprecher der Regierung von Schwaben ein. Eine geplante Unterkunft in Neu-Ulm soll zumindest hier bald Entlastung schaffen.

+++ Fast 17.000 Neuinfektionen in Deutschland registriert +++

Innerhalb eines Tages haben die Gesundheitsämter nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Sonntag in Deutschland 16 947 neue Corona-Infektionen gemeldet. Das sind 5 514 Fälle weniger als noch am Tag zuvor mit 22 461 neu gemeldeten Fällen innerhalb von 24 Stunden. An Sonntagen sind die erfassten Fallzahlen meist niedriger, unter anderem weil am Wochenende weniger getestet wird. Am vergangenen Sonntag hatte die Zahl gemeldeter Neuinfektionen bei 16.017 gelegen. Seit Beginn der Pandemie hat das RKI insgesamt 790.503 Infektionen erfasst. (Stand: 15.11., 00.00 Uhr)

Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Corona-Virus stieg um 107 auf insgesamt 12 485. Das sogenannte Sieben-Tage-R lag laut RKI-Lagebericht vom Samstagabend bei 1,05 (Vortag: 0,99). Das heißt, dass 100 Infizierte rechnerisch gut 100 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab. Agenturen/nd

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