Debatte um Versammlungsrecht in Pandemiezeiten

Sachsen begrenzt Größe von Veranstaltungen - weitere Oberbürgermeister fordern Einschränkungen des Versammlungsrechts

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Während die Corona-Infektionszahlen bundesweit hoch bleiben, müssen sich immer mehr Bundesländer mit der Umsetzung ihres Versammlungsrechts auseinandersetzen. Die Abwägung zwischen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und dem Pandemieschutz wird dabei regional und je nach Anmelder sehr unterschiedlich von Exekutive und Justiz beantwortet. Vor allem der Umgang mit den Protesten von Gegnern der Corona-Maßnahmen, die sich oftmals explizit nicht an Abstandsregeln oder das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes halten und teilweise auch in Gewalt ausarten, stehen verstärkt in der Diskussion. Ausschreitungen und Angriffe gegen Polizisten, Gegendemonstranten und Journalisten bei Teilen der »Querdenken«-Kundgebung in Leipzig Anfang November sowie die Teilnahme hunderter extremer Rechter an diesen Protesten heizten die Debatte weiter an.

Die sächsische Landesregierung hatte als erste Konsequenz Versammlungen auf 1000 Teilnehmer begrenzt. Im Einzelfall sollen auch größere Kundgebungen möglich sein, wenn technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, um das Infektionsrisiko zu senken. Der Leipziger Staats- und Verwaltungsrechtler Christoph Degenhart hat die neuen Demonstrationsregeln kritisiert. »Es muss immer im Einzelfall zwischen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und den zu erwartenden Störungen abgewogen werden«, sagte Degenhart gegenüber Medien. Wenn Erfahrungen zeigten, dass bestimmte Gruppen sich nicht an Auflagen halten, könne man Demonstrationen dieser Gruppen auch präventiv begrenzen. »Aber pauschal geht das nicht«, so Degenhart.

Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) hatte dagegen am Montag die Polizei zu einem schnellen Eingreifen aufgerufen, sollte es bei den für den Abend angekündigten Demonstrationen zu Verstößen gegen die Corona-Regeln kommen. Er erwarte, dass rechtzeitig eingegriffen wird, sagte Wiegand auf einer Pressekonferenz. Die Stadt halte pro Teilnehmer einer Versammlung sieben Quadratmeter Versammlungsfläche für nötig, um den Mindestabstand einzuhalten sowie Anwohner und anliegende Geschäfte zu schützen. Das habe die Stadt der Polizei, die in Halle Versammlungsbehörde ist, mitgeteilt.

Der Präsident des Deutschen Städtetages und Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung hat einen Stufenplan für Genehmigungen von Versammlungen in Corona-Zeiten gefordert und damit eine vorübergehende Einschränkung für Großdemonstrationen. Das Verhältnis von Demonstrationsrecht und Gesundheitsschutz bleibe für die Städte eine Herausforderung, sagte Jung gegenüber Medien: »Ich glaube, wir brauchen einen klugen Stufenplan, bei welchem Infektionsstand Versammlungen welcher Größe möglich sind.« Es gebe viele Möglichkeiten, in unserer Demokratie sein Recht auf freie Meinungsäußerung zu wahren, sagte Jung weiter. »Es muss jetzt nicht die Großdemonstration sein.«

Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte sich dafür ausgesprochen, große Demonstrationen während der Krise zu verbieten. »Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern, die auf engen Straßen und Plätzen zusammenkommen, sollten unter den derzeit schwierigen Pandemiebedingungen nicht genehmigt werden«, sagte der SPD-Politiker gegenüber Medien. Auch müsse bei Versammlungen jeglicher Art auf Abstand und das Tragen von Masken geachtet werden. »Werden die Vorgaben nicht eingehalten, müssen Polizei und Ordnungskräfte konsequent dagegen vorgehen und Versammlungen auflösen.«

In sozialen Medien warnten indes Journalisten und Bürgerrechtler, dass die Debatte zu weiteren Einschränkungen des Versammlungsrechts führt, die möglicherweise auch die Pandemie überdauern könnten. Zudem wiesen Experten darauf hin, dass Behörden Versammlungen zwar einschränken oder mit Auflagen belegen und in besonderen Fällen auch verbieten können - sie müssen sie aber nicht erlauben oder genehmigen.

Die Frage bleibt, inwiefern die überarbeitete Fassung des neuen Infektionsschutzgesetzes eine höhere Rechtssicherheit bieten wird. Besonders hohe Hürden sieht die Novelle laut dem SPD-Rechtsexperten Johannes Fechner für Beschränkungen von verfassungsmäßig geschützten Veranstaltungen wie Demonstrationen vor. Diese dürften nur noch verboten werden, »wenn keine anderen Möglichkeiten bestehen«, dem Infektionsschutz gerecht zu werden. Mit Agenturen

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