Dämonen und Nazis

Krieg im Leipziger Kleingarten: »Trümmerfrauen« von Christine Koschmieder

Wer Sorgen hat, hat auch Likör, heißt es bei Wilhelm Busch. Lou hat außerdem noch drei Dämonen, die mit ihr sprechen: einen »Fluchtdämon«, einen »Schamdämon« und einen »Dämon ohne besonderen Geschäftsbereich«. Letzterer ist »ungeduldig, lilafarben, achtbeinig«. Sie kann sich also sehr gut mit sich selbst unterhalten, aber genau das ist nicht gut für »Lou, die Angst hat, nicht geliebt zu werden, nichts zu taugen und das Leben an sich vorbeiziehen zu sehen«. Einen Sohn hat sie auch noch: Anatol - der unterhält sich mit zwei Spielzeugnilpferden; einer, »der sein ganzes Leben auf die Einladung in ein Asterix-und-Obelix-Heft wartet« und darauf, dass seine Freundin in den USA schwanger wird - hat alles nicht geklappt.

Anatol ist ungefähr halb so alt wie seine Mutter, und die wiederum ist halb so alt wie Ottilie, die eigentliche Heldin in Christine Koschmieders »Trümmerfrauen«, einem modernen »Heimatroman« (Untertitel). Sie ist 80 und fährt mit Lou auf einer Busreise für Senioren zum Kyffhäuser.

Kennengelernt haben sie sich in einem Leipziger Kleingartenverein. Da war Ottilie die resolute wie charmante Außenseiterin. Ihr Garten war etwas wilder. Jetzt ist sie zu alt dafür, und ihr Garten wird von ihren Pegida-affinen Nachbarn erobert, die mittlerweile auch im Verein den Ton angeben, völkisch und bedrohlich: »Während die einen noch damit beschäftigt sind, die Legitimität beschädigter Ostbiografien auszubuchstabieren, buddeln die anderen längst Rosenstöcke aus und bereiten sich auf den Bürgerkrieg vor. Keine ausgestreckte Hand kann die selbst ernannten Verteidiger der Heimat dazu bringen, sich den Schaum vom Mund zu wischen.«

Ottilie ist eine Figur wie Maude in dem »Harold and Maude«-Film von Hal Ashby: selbstbewusst, lustig und rege. Lou ist eine stolze Neurotikerin, die es von West nach Ost verschlagen hat. Was sie, abgesehen von sich selbst, nicht leiden kann, sind Industriezucker und Weißmehlprodukte. Und Anatol ist eins dieser Kinder, die nicht wissen, was sie wollen, weil sie denken, sie würden schon zu viel wissen. Stimmt aber nicht, denn es stellt sich heraus, dass Ottilie die Tochter eines Nazis ist. Der hat zwar im Zweiten Weltkrieg niemanden eigenhändig umgebracht - aber das Eigentum derer verteilt, die »man zuvor enteignet, vertrieben, in Lager gesteckt oder umgebracht hat«. Und der selbst wiederum froh war, kein Opfer geworden zu sein, weil er im besetzten Jugoslawien als »volksdeutsch« anerkannt wurde.

Das ist die moralische Fallhöhe dieses »Heimatromans«, den Koschmieder als heiteres Neurosenbuch beginnen lässt, um es dann sukzessive literarisch wie politisch interessanter und schließlich auch zu einem guten Roman werden zu lassen. Ottilies Mutter hat immer gesagt: »Es war doch Krieg«, als könnte man das alles nie verstehen. Eben doch, sagt dieser Roman. Denn wer es nicht versucht, hat verloren, nicht nur im Kleingartenverein.

Christine Koschmieder: Trümmerfrauen. Ein Heimatroman. Edition Nautilus, 302 S., geb., 22 €.

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