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Regieren mit Reformen und Gewalt
Im Schatten des G20-Gipfels arbeitet Saudi-Arabien daran, seine Vormachtstellung in der Region weiter auszubauen, gegebenenfalls auch mit Atomwaffen
Ob auf dem G20-Gipfel oder in dessen Schatten, die Politik des saudischen Königshauses wird maßgeblich von einer Tatsache bestimmt: Die Erdölvorkommen gehen zur Neige. Und für ein Land, dessen gesamte geopolitische Machtposition auf der globalen Abhängigkeit vom schwarzen Gold beruht, ist das eine düstere Aussicht. Noch ist es nicht so weit: Saudi-Arabien ist auch 2020 nach den USA der größte Erdölproduzent der Welt. Das Geschäft mit dem Öl machte 2019 etwa 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, 90 Prozent der Exporteinnahmen und 87 Prozent des Staatshaushalts.
Doch damit man in Zukunft auch weiter den Vorsitz bei wichtigen Ereignissen der globalen Elite wie dem diesjährigen G20-Gipfel einnehmen kann, tut das Königshaus alles, um Alternativen zum Erdöl zu finden. Seit Januar 2015 ist der mächtigste Mann im Königreich Kronprinz und Verteidigungsminister Mohammed Bin Salman. Unter seiner Führung begann ein neues Zeitalter mit Reformen und Gewalt. Ein Beispiel: Im Jahr 2018 erlaubte man unter großem Tamtam Frauen das Autofahren - als letztes Land der Welt. Nur ein paar Wochen davor hatte man jedoch sieben prominente Frauenrechtlerinnen verhaften lassen, darunter Loujain al-Hathloul, die sich seit Oktober im Hungerstreik befindet.
Die gleiche Strategie von Schatten und Licht fährt man auch in der Außenpolitik. Während das Land sich unter Bin Salman dem eigentlichen Erzfeind Israel immer weiter annähert, etwa bei der Unterstützung des unter der Trump-Regierung eingeführten Nahostfriedensplans zur Beendigung des Konflikts mit den Palästinensern, führt man seit 2015 einen brutalen Krieg im Nachbarland Jemen, um den angeblich stetig wachsenden Einfluss Irans einzudämmen.
Mohammed Bin Salman rief zudem das Projekt »Vision 2030« ins Leben, eine groß angelegte Strategie, um die saudische Wirtschaft bis zum Jahr 2030 zu diversifizieren und so die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren. Dazu gehört eine Imagekampagne, um die Wahrnehmung des Landes weltweit zu verbessern und es damit als Tourismus-, aber auch als Wirtschaftsstandort zu verkaufen. Im Dezember 2019 fand deshalb ein überdimensionales Technofestival in der Wüste statt; vergangene Woche gab es das erste internationale Frauengolfturnier.
Während man diese als »Whitewashing« bezeichneten Versuche der Schönmalerei zwar angesichts der realpolitischen Situation von Frauen im Land als zynisch bezeichnen könnte, gibt es auch Vorstellungen im Zusammenhang mit »Vision 2030«, die regelrecht zerstörerisches Potenzial in sich bergen. Dazu gehört das neue Atomprogramm des Königreichs. Atomare Energie soll als Alternative zum Erdöl zukünftig einen Großteil der Stromversorgung ausmachen. Sechzehn Reaktoren will man insgesamt bauen, die ersten sollen 2021 ans Netz gehen, obwohl man eine Inspektion der Internationalen Atomenergiebehörde bislang ablehnt. Doch nicht nur das: Saudi-Arabien erwägt auch ernsthaft, ein atomares Waffenprogramm ins Leben zu rufen. Mohammed Bin Salman hatte bereits 2018 in einem Interview mit dem US-amerikanischen Sender CBS von der Möglichkeit gesprochen, zur Verteidigung gegen den Iran Atomwaffen zu entwickeln. Erst diese Woche sagte Außenminister Adel al-Jubeir der Nachrichtenagentur dpa, Atomwaffen wären »eine Option« für das Land.
Für solch heikle Projekte braucht man den Rückhalt des Westens, der sich bei einer potenziellen Bedrohung der eigenen Interessen mit aller Kraft gegen Atomprogramme anderer Länder wehrt, wie etwa im Fall Iran. Die enge Bindung Saudi-Arabiens an den Westen existiert bereits seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, das Königshaus genießt spätestens seit Entdeckung der Erdölvorkommen innen- sowie außenpolitisch fast absolute Bewegungsfreiheit. Doch durch die wachsende Notwendigkeit, zukünftig wirtschaftlich auch außerhalb der Ölbranche zu agieren, muss Saudi-Arabien seine Aggressivität kaschieren, mit der es gegen Nachbarländern wie Jemen, Iran oder Katar vorgeht. Letzteres boykottiert man gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten seit 2017.
Ein neues Image ist auf jeden Fall nötig. Denn bislang war vor allem die Angst, Saudi-Arabien könne den Ölhahn wie in den 1970ern abdrehen, ein entscheidender Faktor dafür, dass die unzähligen Menschenrechtsverletzungen des Landes toleriert wurden. Wenn diese Abhängigkeit endet, braucht Saudi-Arabien neue Argumente, um weiter als ebenbürtiger Partner dazustehen, und nicht als Spielball ausländischer Interessen. Bislang sieht es so aus, als könnte Saudi-Arabien es schaffen, durch geschicktes diplomatisches Taktieren auf der einen Seite und eine brutale Bekämpfung seiner Gegner auf der anderen, seine Position zu behaupten. Weder der Mord am Journalisten Jamal Khashoggi 2018, der kommende Woche in Istanbul weiterverhandelt wird, noch das Auslösen der derzeit größten humanitären Krise der Welt im Jemen hindert die wirtschaftsstärksten Länder der Welt daran, mit dem Königshaus zu kooperieren.
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