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Das Leiden der Talente
Nachwuchssportler werden im Lockdown in einer wichtigen Phase ihrer Leistungsentwicklung gestoppt
Keine Wettkämpfe, weniger Training und Motivationsprobleme: Deutschlands Nachwuchsathleten machen im Jahr 2020 wegen Corona eine schwierige Zeit durch. Viele der Toptalente verlieren durch die Zwangspausen wichtige Monate in ihrer Entwicklung. Die Folge ist nicht selten der Karriereabbruch. Eine Entwicklung, die dem organisierten Sport Sorgen bereitet. »Der ganze Nachwuchs wird uns jetzt erst mal weggenommen«, klagt Alpin-Chef Wolfgang Maier vom Deutschen Skiverband angesichts des punktuellen Stillstands durch den zweiten Lockdown im November. »Vielleicht werden wir den Effekt in ein paar Jahren spüren«, prognostiziert Biathlon-Olympiasieger Arnd Peiffer.
In den Mannschaftssportarten sieht man es ähnlich. Die große Gefahr sei, meint der ehemalige Handball-Nationalspieler Christian Schwarzer, »dass dem Sport insgesamt und damit auch dem Handball eine ganze Generation wegbricht, die im Endeffekt ein Jahr lang kaum Sport machen konnte und keine Wettkämpfe hatte«.
In der Tat sind viele junge Talente regelrecht ruhiggestellt. Im Zuge des zweiten Lockdowns dürfen Mitglieder der Perspektiv- und Nachwuchskader an den Stützpunkten zwar weiter trainieren, Wettkämpfe haben die meist 16- bis 18-Jährigen aber keine mehr. Die darunter angesiedelten Landeskaderathleten sind hingegen in vielen Bundesländern auch vom Training ausgeschlossen. In der Leichtathletik spielt gerade die Ausbildung dieser Talente eine wichtige Rolle. »Sie sichern die Zukunft der Sportart und bilden die Basis für den Erfolg der Spitze«, sagt Präsident Jürgen Kessing vom Deutschen Leichtathletik-Verband und fordert für sie die Rückkehr in den Trainingsbetrieb, der mithilfe von Hygiene- und Sicherheitskonzepten mittlerweile verantwortungsvoll gestaltet werden könne.
Manchmal klappt die Rückkehr auch. Am Olympiastützpunkt Hessen zum Beispiel hat man sich in Gesprächen mit dem hessischen Ministerium des Innern und für Sport erfolgreich dafür eingesetzt, dass auch die Landeskaderathleten weiter trainieren dürfen. »Wir haben mit dem Innenministerium einen sehr kooperativen Partner, weswegen wir diese Lösung erzielen konnten«, berichtet Bernd Brückmann, stellvertretender Leiter des Olympiastützpunktes in Frankfurt am Main.
Die seit Monaten schwierige Situation trübt allerdings auch die Motivation der Jugendlichen. Die Stimmung ist oft gespalten. »Manche Athleten freuen sich aufs Training, weil es ihnen in diesen Zeiten auch einen vertrauten Halt gibt und sie ein bisschen aus dem sonst monotonen Alltag reißt«, erzählt Brückmann. »Andere leiden unter fehlenden Zielen und fragen sich: Warum soll ich trainieren, wenn wir eh keine Wettkämpfe haben?« Daher biete der OSP Hessen den Nachwuchsathleten auch Gespräche mit Psychologen an.
Der fünfmalige Weltmeister Peiffer will für den Biathlon eine Ausstiegswelle nicht ausschließen. Der 33-Jährige kann sich vorstellen, dass viele Talente, die mit 17, 18, 19 Jahren gerade vor der Entscheidung stehen, ob sie voll auf die Karte Profisport setzen sollen oder nicht, dem Sport abhandenkommen werden. Für den Nachwuchs fehle »ein bisschen die Perspektive«.
Dem Deutschen Olympischen Sportbund ist die schwierige Lage bekannt. Eine wichtige Phase der Leistungsentwicklung sei für die Nachwuchstalente »sehr eingeschränkt, da ein ausgewogenes, kontinuierliches Training nicht möglich ist«, schildert DOSB-Leistungssportchef Dirk Schimmelpfennig die augenblickliche Situation. Doch mehr als ständig auf die schwierige Lage hinzuweisen, kann auch der DOSB kaum machen. Der Dachverband sieht sich in der Coronazeit auch in der gesellschaftlichen Verantwortung und will die politischen Entscheidungen zum Lockdown trotz vieler Einwände und Klagen mittragen.
Vielleicht aber dient am Ende die Erkenntnis als Trost, dass andere Länder wegen Corona mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben. Eine einseitige Benachteiligung im internationalen Vergleich dürfte sich also deshalb für den deutschen Spitzensport nicht ergeben. SID/nd
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