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»Es ist so gemein, was diesen Kindern angetan wird«
Nachwuchs als Politikum: Neurechte instrumentalisieren ihre Töchter und Söhne für den vermeintlich höheren Zweck
Was hat Sie motiviert, eine Handreichung für Sozialpädagogen zum Umgang mit rechten Familien zu erarbeiten?
Ich habe viele Jahre Jungenarbeit in Berlin-Marzahn gemacht und Erfahrungen mit Familien und Fragen des Kindeswohls gesammelt. Ich war die letzten Jahre in der Erwachsenenbildung tätig und habe viel von pädagogischen Fachkräften aus ihrer Arbeit im gesamten Bundesgebiet mitbekommen.Vor einigen Jahren habe ich eine Weiterbildung als Verfahrensbeistand gemacht. Dabei habe ich mich vertieft mit Kindeswohlgefährdung in neonazistischen Familien beschäftigt. Meine Beschäftigung damit hat mich stellenweise extrem wütend gemacht, weil es so gemein ist, was diesen Kindern angetan wird.
Der Ethnologe ist unter anderem für Dissens - Institut für Bildung und Forschung Berlin tätig. Für die Bremer Fachstelle Rechtsextremismus und Familie hat er die Broschüre »Funktionalisierte Kinder. Kindeswohlgefährdung in Neonazifamilien - eine Hilfestellung für Fachkräfte in den Bereichen Recht und (Sozial-)Pädagogik« verfasst. Peter Nowak sprach mit ihm über die Dilemmata der Jugendhilfe im Umgang mit Kindern rechtsradikaler Eltern.
Durch den Film »Kleine Germanen« wurde das Problem von Kindern in rechten Elternhäusern einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Was halten Sie von der Dokumentation?
Es hat ja verschiedene Kritiken an dem Film gegeben. Er basiert weitestgehend auf einer wahren Geschichte, die zugleich ein sehr bekannter Fall ist, den ich auch mehrfach in der Broschüre aufgreife. Die Protagonistin des Films, die dort »Elsa« genannt wird, ermöglicht Empathie, das finde ich gut. Zugleich fehlen in der Dokumentation aber meines Erachtens einige relevante Aspekte neonazistischer Erziehung, zum Beispiel die häufig auftretenden enormen Loyalitätskonflikte bei den Kindern. Wirklich problematisch ist der Film da, wo er führenden Rechten extrem umfangreich und eher unkritisch Raum gibt.
Es gibt wenig Literatur über Kinder in Neonazifamilien. Woran liegt das?
Ich denke, dass einerseits die Entpolitisierung von »Privatheit« eine ganz zentrale Rolle spielt, wozu eben auch Familie und Erziehung gehören. Dann gibt es nach wie vor einfach wenig Forschung in Deutschland zum Themenbereich Rechtsextremismus, auch wenn bei vielen Menschen ein anderer Eindruck vorherrscht. Viele, die in diesem Themenbereich forschen, folgen auch der angesprochenen Trennung der als getrennt konstruierten Sphären privat auf der einen und öffentlich/politisch auf der anderen Seite. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass es eine männliche Dominanz im Bereich der Rechtsextremismusforschung gibt und feministische Perspektiven nach wie vor marginal sind. Und natürlich ist es schwierig, hier zu forschen, weil diese Szenen stark abgeschottet sind und es nur wenige gibt, die sich davon distanzieren und aus dem Innenleben berichten.
Was soll der Titel »Funktionalisierte Kinder« ausdrücken?
Generell lässt sich sagen, dass Kinder in rechten Familienverbünden häufig für einen übergeordneten Zweck funktionalisiert werden, deswegen ist der Titel der Broschüre auch »Funktionalisierte Kinder«. Kinder spielen eine elementare Rolle für den Fortbestand der »Sippe«, der »Rasse« und des »Volks«, sie alleine garantieren Beständigkeit für derartige ideologische Konstruktionen. Deswegen bekommen viele Rechte auch so viele Kinder. Exemplarisch lässt sich diese Funktionalisierung bei Neonazis zeigen, sie ist aber auf andere Beispiele übertragbar.
Wann ist das Kindeswohl in rechten Familien gefährdet?
Die Frage lässt sich so nicht beantworten. Es ist immer eine Einzelfallprüfung notwendig, was ich auch richtig finde. Eins der Dilemmata ist, dass es sowohl kindeswohlgefährdend sein kann, ein Kind in der Familie zu belassen, als auch, es herauszunehmen. Ein Dilemma dabei ist auch aus der Arbeit mit Kindern bekannt, die in christlich-fundamentalistischen Gruppen aufwachsen. Mädchen und Jungen, die dort gegen ihren Willen herausgenommen wurden, versuchten immer wieder, die ihnen zugewiesenen Pflegefamilien zu verlassen und zu ihren Eltern zurückzukehren, auch wenn sie dort nachweisbar Zwangs- und Gewaltsituationen zu erwarten hatten.
Für die Überprüfung, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, ist es sehr wichtig, auch inhaltliche Aspekte einzubeziehen wie beispielsweise eine neonazistische Gesinnung der Eltern und Spezifika extrem rechter Erziehungsstile. Das passiert meiner Wahrnehmung nach viel zu wenig. Hierfür habe ich in der Broschüre Punkte erarbeitet, die hoffentlich Eingang in die einschlägigen Listen zur Überprüfung einer Kindeswohlgefährdung finden.Das »nd« bleibt gefährdet
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